Leitsatz (amtlich)

Hat ein selbständiges Beweisverfahren neben der Klärung der behaupteten Mängel und der Beseitigungskosten erkennbar auch den Zweck, für den Antragsteller zu klären, ob er Mangelbeseitigung verlangen oder vom Vertrag zurücktreten wird, so ist bei der Bestimmung des Streitwerts dem Interesse an dieser Klärung dadurch Rechnung zu tragen, dass ein Zuschlag zu den ermittelten und fiktiven Mangelbeseitigungskkosten erfolgt.

 

Normenkette

ZPO §§ 3, 485

 

Verfahrensgang

LG Tübingen (Beschluss vom 18.04.2011; Aktenzeichen 2 OH 12/08)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des LG Tübingen vom 18.4.2011 - 2 OH 12/08 - abgeändert:

Der Streitwert für das selbständige Beweisverfahren wird auf 50.000 EUR festgesetzt.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 1.500 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A. Die Antragsteller Ziff. 1 und 2 sowie die Antragsteller Ziff. 3 und 4 erwarben vom Antragsgegner je eine Eigentumswohnung auf dem Grundstück xxx in Mxxx zum Kaufpreis von jeweils 250.000 EUR. Im vorliegenden selbständigen Beweisverfahren beantragten sie die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zur Beurteilung von behaupteten Schallschutzmängeln sowie gegebenenfalls zu Kosten der Mangelbeseitigung und eines Minderwertes. Im Antrag wurde ausgeführt, dass die Antragsteller beabsichtigten, in Kürze die Schadensbeseitigung zu veranlassen. Dem Antrag waren u.a. Schreiben vom 13.5.2008 und 29.9.2008 beigefügt, in denen die anwaltlich vertretenen Antragsteller dem Antragsgegner für den Fall einer fehlenden Mangelbeseitigung die Geltendmachung der Rechte gem. § 634 Nr. 2-4 BGB angedroht hatten. Mittlerweile haben die Antragsteller jeweils den Rücktritt vom Vertrag erklärt.

Das LG hat den Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens auf 10.000 EUR festgesetzt. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass sich die Kosten für die Beseitigung der festgestellten Mängel auf maximal 4.000 EUR belaufen würden. Hinsichtlich der nicht festgestellten Mängel könne ein hypothetischer finanzieller Aufwand von weiteren 4.000 EUR angesetzt werden. Zudem sei ein Minderwert der Wohnungen von insgesamt 2.000 EUR zu berücksichtigen.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller, mit der sie eine Festsetzung des Streitwerts auf 50.000 EUR erstreben. Die Beschwerdeführer sind der Auffassung, es sei von deutlich höheren Mangelbeseitigungskosten auszugehen. Zudem müsse sich streitwerterhöhend auswirken, dass von vornherein auch ein Rücktritt von den jeweiligen Kaufverträgen im Raum gestanden habe.

Der Antragsgegner ist der Beschwerde entgegengetreten. Er verteidigt den angefochtenen Beschluss. Das LG habe die voraussichtlichen und fiktiven Mangelbeseitigungskosten zutreffend ermittelt. Der Vortrag, dass der Sachverständige die Kosten nicht richtig ermittelt habe, sei bei der Streitwertfestsetzung nicht zu berücksichtigen. Der Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens habe nur die Mangelbeseitigung zum Gegenstand gehabt, so dass sich der Streitwert auch nur nach den Mängelbeseitigungskosten richten könne. Daher sei auch der später erklärte Rücktritt unerheblich.

Wegen des Weiteren Vorbringens der Beteiligten im Beschwerdeverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

B.I. Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Antragsteller ist zulässig (§ 68 Abs. 1 GKG i.V.m. § 32 Abs. 2 RVG).

II. Die Beschwerde ist auch begründet. Der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens ist auf 50.000 EUR festzusetzen.

1. Der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens richtet sich nach dem vollen mutmaßlichen Hauptsachestreitwert. Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei das Interesse des Antragstellers zum Zeitpunkt der Verfahrenseinleitung (BGH NJW 2004, 3488; OLG Stuttgart MDR 2009, 234).

a) Die Bestimmung dieses Interesses im Einzelnen ist noch nicht abschließend geklärt. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung sind in dem vorliegenden Fall, dass Gegenstand des Beweisverfahrens die Feststellung von Mängeln und deren Beseitigungskosten sind, die vom Sachverständigen ermittelten Kosten der Wertfestsetzung zugrunde zu legen (OLG Stuttgart vom 19.4.2010 - 3 W 21/10; OLG Celle BauR 2004, 705; OLG Düsseldorf BauR, 2001, 883). Soweit der Gutachter nicht alle behaupteten Mängel bestätigt, sind die Kosten zu schätzen, die sich ergeben hätten, wenn jene Mängel festgestellt worden wären (BGH NJW 2004, 3488).

b) Dem ist nur für den Fall zuzustimmen, dass das Interesse des Antragsstellers auf die Mangelbeseitigung beschränkt ist. Wenn jedoch der Antragssteller mit dem selbständigen Beweisverfahren erkennbar andere Ansprüche neben oder anstelle des Anspruchs auf Mangelbeseitigung vorbereiten will, so ist auch der Wert dieser Ansprüche bei der Bemessung des Streitwerts des selbständigen Beweisverfahrens zu berück...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?