Leitsatz (amtlich)
Zur fehlenden internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Wechsel des Kindes in einen nicht durch die EuEheVO gebundenen Drittstaat (hier Türkei) und Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts während der Anhängigkeit eines Umgangsverfahrens (keine "perpetuatio fori") Zur Anwendung des MSA vom 5.10.1961 im Verhältnis zur Türkei.
Normenkette
EuEheVO Art. 8 Abs. 1, Art. 60 lit. a; MSA Art. 1, 5
Verfahrensgang
AG Stuttgart (Beschluss vom 21.12.2011; Aktenzeichen 26 F 1932/11) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners/Vaters wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Stuttgart vom 21.12.2011 - 26 F 1932/11 - aufgehoben.
2. Der verfahrensbeteiligten Mutter wird im zweiten Rechtszug ratenfreie Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Ihr wird Rechtsanwältin R. beigeordnet.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
5. Der Beschwerdewert wird auf EUR 3.000 festgesetzt.
Gründe
I. Die beteiligten Eltern streiten um den Umgang der in Österreich lebenden Mutter mit der gemeinsamen, am 18.4.2005 geborenen Tochter L., die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
Die Eltern waren nicht miteinander verheiratet, führten aber eine nichteheliche Lebensgemeinschaft. Der Vater besitzt die deutsche und türkische, die Mutter die österreichische Staatsangehörigkeit. Die Beteiligten zogen im Sommer 2006 nach Deutschland und leben seit ca. August 2006 voneinander getrennt. Mit Senatsbeschluss vom 5.10.2010 (Az: 17 UF 223/08) wurde das Sorgerecht für das Kind auf den Vater übertragen. Das Umgangsrecht der Mutter mit L. war am 13.10.2008 (Az: 26 F 87/07) durch das Familiengericht Stuttgart geregelt worden.
Ende September 2011 beantragte die Mutter beim Familiengericht Stuttgart eine Neuregelung des Umgangs. Der Antrag wurde der Verfahrensbevollmächtigten des Vaters am 7.10.2011 zugestellt. Der Vater meldete sich am 12.10.2011 beim zuständigen Einwohnermeldeamt in S. ab und verzog nach B. in der Türkei. Die Anmeldung erfolgte am 14.10.2011. Seit dem 14.10.2011 besucht L. die Grundschule in B.. Die Mutter stellte daher ihren ursprünglichen Umgangsantrag dahin um, dass ein Umgang außerhalb der türkischen Unterrichtszeiten stattfinden solle.
Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Familiengericht, das seine internationale Zuständigkeit bejaht hat, eine Umgangsregelung innerhalb der türkischen Schulferien im Januar und August/September 2012 angeordnet. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Vaters, der die internationale Zuständigkeit rügt.
Der Senat entscheidet ohne erneute Anhörung der Beteiligten.
II.1. Die Beschwerde ist gem. §§ 58 ff. FamFG statthaft und zulässig. Im Ergebnis führt sie zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Denn es fehlt an der vorauszusetzenden internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 17.2.2010 - XII ZB 68/09).
2. Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-Verordnung = EuEheVO) sind für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, an sich die Gerichte des Mitgliedsstaates zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Zum Zeitpunkt der Einreichung des Umgangsantrages hatte L. noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Gleichwohl ist die internationale Zuständigkeit nunmehr entfallen, da das Kind in der Türkei seinen gewöhnlichen Aufenthalt erlangt hat und daher eine fortbestehende internationale Zuständigkeit nicht mehr gegeben ist.
Zwar lässt sich Art. 8 Abs. 1 EuEheVO der Grundsatz einer "perpetuatio fori" entnehmen, wonach das bei Antragstellung zuständige Gericht auch dann international zuständig bleibt, wenn das Kind während des Verfahrens in einem anderen als dem angerufenen Staat einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt erwirbt (BGH, Beschl. v. 17.2.2010 - XII ZB 68/09).
Allerdings ist im Rahmen der EuEheVO zu unterscheiden, ob es sich bei diesem Staat um einen Vertragsstaat oder um einen anderen völkerrechtlich gebundenen Staat handelt. Nur Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind vom Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 1 EuEheVO und damit auch von einer "perpetuatio fori" betroffen. Für Nichtmitgliedsstaaten verbleibt es dagegen zunächst bei den unmittelbar zwischen einem Mitgliedsstaat und einem nicht durch die EuEheVO gebundenen Drittstaat getroffenen völkerrechtlichen Vereinbarungen. Der Vorrang völkerrechtlicher Verträge folgt bereits aus Art. 60 lit. a EuEheVO, wonach die Vorschriften der EuEheVO nur im Verhältnis der Mitgliedsstaaten untereinander vorrangig zur Anwendung gelangen.
Die Türkei ist nicht Mitglied der Europäischen Union, dagegen Mitglied des Übereinkommens über die Zuständigkeit de...