Leitsatz (amtlich)
Schreibt ein öffentlicher Auftraggeber Rohbauarbeiten europaweit aus, obwohl der zutreffend geschätzte Wert aller Teillose zusammen ohne Mehrwertsteuer und ohne Baunebenkosten den Schwellenwert deutlich unterschreitet, eröffnet er damit nicht den Rechtsweg des Nachprüfungsverfahrens nach §§ 102 ff. GWB.
Normenkette
GWB § 100 Abs. 1, §§ 118, 127; VgV §§ 1-2
Verfahrensgang
Vergabekammer Baden-Württemberg (Aktenzeichen 1 VK 35/02) |
Tenor
Der Antrag der Antragstellerin auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Der Landkreis T. hat im März 2002 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaft und im Staatsanzeiger von Baden-Württemberg im Zusammenhang mit der Erweiterung des Kreiskrankenhauses in T. Rohbauarbeitenausgeschrieben. Die Antragstellerin hat mit 886.011,98 Euro brutto das preisgünstigste Angebot abgegeben. Zweitgünstigster Anbieter mit einem Angebot von 930.858,70 Euro brutto ist die Firma G.
Mit Schreiben vom 14.6.2002 hat die Vergabestelle der Antragstellerin ihre Absicht mitgeteilt, deren Angebot nicht zu berücksichtigen, da die Zuverlässigkeit für die Erbringung der Bauleistungen nicht gegeben sei. Die Belegschaft der Antragstellerin bestehe weitgehend aus Mitarbeitern der früheren Firma A., mit denen die Stadt T. beim Bau einer Stadthalle schlechte Erfahrungen gemacht habe. Zugleich teilte die Vergabestelle mit, dass das Angebot des zweitgünstigsten Anbieters, der Firma G., angenommen werden soll.
Mit Schriftsatz vom 27.6.2002 hat die Antragstellerin bei der Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag eingereicht. Sie hat den Vorwurf der Unzuverlässigkeit zurückgewiesen und geltend gemacht, dass ungeachtet der fehlenden Berechtigung der ggü. der Firma A. erhobenen Vorwürfe der Geschäftsführer und die Gesellschafter der Antragstellerin mit denen der früheren Firma A. nicht identisch seien und etwaige Pflichtverletzungen der Firma A. ihr nicht zum Nachteil gereichen könnten.
Die Vergabestelle hat geltend gemacht, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig sei, da nach der gem. DIN 276 vorgenommenen Kostenberechnung vom 30.10.2001 der Gesamtauftrag ohne Baunebenkosten mit netto 3.788.793,10 Euro ermittelt wurde und damit der Schwellenwert von 5 Mio. Euro nicht erreicht sei. Im Übrigen sei die Antragstellerin schon deshalb auszuscheiden, da diese erst seit 4.4.2001 existiere und keine eigenen Referenzen zum Nachweis ihrer Leistungsfähigkeit vorweisen könne.
Mit Beschluss vom 15.7.2002 hat die Vergabekammer den Antrag der Antragstellerin, die Vergabestelle zu verpflichten, den Zuschlag nicht an die Firma G. zu erteilen, als unzulässig zurückgewiesen.
Zur Begründung hat die Vergabekammer ausgeführt, dass der für die Zuständigkeit des Nachprüfungsverfahrens erforderliche Schwellenwert von 5 Mio. Euro nicht erreicht werde und allein die europaweite Ausschreibung das Nachprüfungsverfahren nicht eröffnen könne.
Gegen den am 19.7.2002 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 30.7.2002 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie beantragt,
den Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg – 1 VK 35/02, vom 15.7.2002 aufzuheben und an die Vergabekammer Baden-Württemberg zurückzuverweisen.
Hilfsweise
unter Aufhebung des Beschlusses der Vergabekammer Baden-Württemberg vom 15.7.2002 – 1 VK 35/02 die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren in den Stand vor Erteilung der Absage vom 14.6.2002 zu versetzen und die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, den Zuschlag nicht an die Firma G. zu erteilen,
höchst hilfsweise
das Vergabeverfahren aufzuheben.
Zugleich beantragt die Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihrer sofortigen Beschwerde i.S.v. § 118 Abs. 1 S. 3 GWB anzuordnen.
Zur Begründung trägt die Antragstellerin vor, auf Grund der europaweit erfolgten Ausschreibung sei davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens den Gesamtauftragswert auf mindestens 5 Mio. Euro geschätzt habe. Die Vergabekammer habe unzulässigerweise auf die vorgelegte Kostenberechnung abgestellt. Unabhängig von der Höhe des Auftragswerts sei durch die europaweite Ausschreibung eine Selbstbindung der Vergabestelle eingetreten mit der Folge, dass nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung das Nachprüfungsverfahren eröffnet sei.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag der Antragstellerin entgegengetreten.
II. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde zu verlängern, ist zurückzuweisen, da die sofortige Beschwerde der Antragstellerin nach der im Verfahren nach § 118 GWB gebotenen summarischen Prüfung keine Aussicht auf Erfolg hat, weshalb es einer Interessenabwägung i.S.v. § 118 Abs. 2 GWB nicht bedarf (vgl. Motzke/Pietzcker/Prieß/Gröning, VOB/A, § 118 GWB Rz. 46; Langen-Bunte/Sura, § 118 GWB Rz. 9).
Die Vergabekammer ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Nachprüfungsantrag mangels Erreichens des Schwellenwerts unzulässig ist.
Nach § 100 Abs. 1 GWB ist der Anwendungsbereich des vierten Teils des GWB...