Leitsatz (amtlich)
1. Die Bindungswirkung der Verweisung eines Rechtstreits von der Zivilkammer an die Kammer für Handelssachen entfällt auch ohne Gehörsverstoß im Einzelfall dann, wenn der Verweisung jede rechtliche Grundlage fehlt oder sie bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheint.
2. Eine willkürliche und deshalb nicht bindende Verweisung liegt vor, wenn eine bereits lange geltende und in allen einschlägigen Kommentaren behandelte Norm des GVG, nämlich die Fristgebundenheit des Verweisungsantrags nach § 101 Abs. 1 GVG, offenbar nicht zur Kenntnis genommen wurde und angesichts der Dauer des Verfahrens der Richter zum Zeitpunkt des Verweisungsbeschlusses ausreichend Anlass hatte, sich insoweit um eine Überprüfung der Gesetzeslage zu kümmern.
Normenkette
GVG §§ 95, 101 Abs. 1, § 102 S. 2; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
Tenor
Innerhalb des Landgerichts Stuttgart ist die 25. Zivilkammer - Einzelrichter - für den vorliegenden Rechtsstreit zuständig.
Gründe
I. Die Parteien des Rechtsstreits sind kraft Rechtsform Kaufleute.
Mit Schriftsatz vom 16.4.2018 hat die Klägerin gegen die Beklagte vor dem Landgericht Tübingen am 19.4.2018 Klage eingereicht. Einen Antrag auf Verhandlung vor der Kammer für Handelssachen hat sie in der Klagschrift nicht gestellt.
In der bis 19.6.2018 verlängerten Frist zur Klageerwiderung hat die Beklagte keinen Antrag auf Verweisung an die Kammer für Handelssachen gestellt, sondern mit der rechtzeitig eingegangenen Klageerwiderung allein die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt. Auf den Verweisungsantrag der Klägerin vom 9.7.2018 wurde der Rechtsstreit vom Landgericht Tübingen mit Beschluss vom 25.7.2018 an das Landgericht Stuttgart verwiesen.
Mit Verfügung vom 31.7.2008 beraumte die 25. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart Termin zur Güteverhandlung und einen anschließenden Haupttermin auf den 15.11.2018 an. Mit Schriftsatz vom 7.11.2018 trug die Beklagte vor, dass die Kammer für Handelssachen zuständig sei und rügte die Zuständigkeit der Zivilkammer. Mit weiterem Schriftsatz vom 12.11.2018 beantragte die Beklagte die Verweisung des Rechtsstreits an die Kammer für Handelssachen. Hierzu erhielt die Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Woche, von der sie keinen Gebrauch machte. Der Verhandlungstermin vom 15.11.2018 wurde mit Verfügung vom 12.11.2018 aufgehoben und mit Beschluss vom 26.11.2018 der Rechtsstreit auf Antrag der Beklagten an die Kammer für Handelssachen verwiesen.
Mit Beschluss vom 27.11.2018 wurde der Rechtsstreit von der 34. Kammer für Handelssachen an den Einzelrichter der 25. Zivilkammer zurückgegeben. Die Kammer für Handelssachen wies darauf hin, dass der verweisende Richter sich mit der Frist des § 101 Abs. 1 S. 2 GVG nicht befasst habe und der Verweisungsbeschluss daher willkürlich und nicht bindend sei.
Mit Beschluss vom 29.11.2018 hat der Einzelrichter der 25. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart den Rechtsstreit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO analog zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt. Der Antrag auf Verweisung an die Kammer für Handelssachen sei tatsächlich nach Ablauf der Frist des § 101 Abs. 1 S. 2 GVG gestellt worden. Eine Verweisung sei dennoch erfolgt, da der Einzelrichter diese Vorschrift übersehen habe. Eine trotz Fristversäumnis erfolgte Verweisung sei nach der absolut herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur bindend, da es sich um einen reinen formalen Verstoß handle.
Der Senat hat den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme zum Vorlagebeschluss gegeben. Davon haben beide Parteien keinen Gebrauch gemacht.
II. 1. Der Zuständigkeitsstreit zwischen der 24. Zivilkammer und der 34. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stuttgart ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO analog durch das für beide Spruchkörper im Rechtszug nächst höhere Oberlandesgericht Stuttgart zu entscheiden.
§ 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist auf Zuständigkeitskonflikte zwischen der Zivil- und der Handelskammer eines Landgerichts entsprechend anwendbar (vgl. Zöller-Schultzky ZPO 32. Aufl. § 36 Rn. 33 und 39 mwN). Obwohl die Zivilkammer und die Kammer für Handelssachen lediglich verschiedene Spruchkörper innerhalb eines Gerichts sind, muss ein zwischen ihnen bestehender negativer Kompetenzkonflikt im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (analog) behoben werden. Sinn und Zweck dieser Bestimmung ist es in erster Linie, im Interesse der Parteien und der Rechtssicherheit den misslichen Streit darüber, welches Gericht für die Sachentscheidung zuständig ist, möglichst schnell zu beenden. Unter diesem Blickwinkel macht es weder für die Parteien noch für die Belange einer geordneten Rechtspflege einen Unterschied, ob zwei verschiedene Gerichte oder zwei Spruchkörper desselben Gerichts ihre Zuständigkeit zur Sachentscheidung leugnen. Sofern das Gesetz keine andere Möglichkeit zur Lösung des Konflikts vorsieht, bleibt nur das Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO übrig, um den Kompetenzstreit zu erledigen (BGH, Beschluss vom 03. Mai 1978 - IV...