Verfahrensgang

LG Tübingen (Urteil vom 19.10.2018; Aktenzeichen 4 O 295/17)

 

Tenor

A. Rechtliche Hinweise

I. Formale Anforderungen an die Prämienanpassungen

a) Unabhängigkeit des Treuhänders K.

aa) Soweit der Kläger bestreitet, dass überhaupt ein Treuhänder der Beitragserhöhung zugestimmt hat, hat die Beklagte dies durch die Vorlage der Zustimmungserklärung des Diplom-Mathematikers G. K. vom 21. November 2016 (Anl. BLD 3) sowie aufgrund dessen erstinstanzlicher Zeugenaussage bewiesen (§ 286 ZPO).

bb) Der Senat teilt die Auffassung des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 19. Dezember 2018 - IV ZR 255/17, juris Rn. 30, dass die Wirksamkeit der Zustimmung des Treuhänders nicht davon abhängt, dass dessen Unabhängigkeit von den Zivilgerichten gesondert geprüft und festgestellt wird.

b) Anforderungen an die Mitteilung der für die Neufestsetzung maßgeblichen Gründe

aa) Die Beklagte hat den Kläger im Nachtrag zum Versicherungsschein vom November 2016 auf Folgendes hingewiesen:

"Die Änderungsgründe, die Sie betreffen, sind auf dem Nachtrag zum Versicherungsschein hinter dem jeweiligen Tarif angegeben. ...

1 Beitragsanpassung

Nähere Informationen finden Sie in der separaten Beilage.

Hinter den Tarifen ECORA 2600 und ZRPO war eine "1" vermerkt. In der separaten Beilage, also den "Informationen zur Beitragsanpassung zum 01.01.2017", hieß es sodann

"Die aktuelle Überprüfung der Beiträge in der Kranken-, Krankenhaustagegeld- und Krankentagegeld-Versicherung hat bei den Leistungsausgaben Abweichungen oberhalb der für die Tarife festgelegten Prozentsätze ergeben."

Damit hat die Beklagte entgegen der Ansicht des Klägers klargestellt, dass die Veränderung der "Leistungsausgaben" und damit der Versicherungsleistungen iSd § 203 Abs. 2 Satz 3 iVm Satz 1 VVG auslösender Faktor war.

bb) Dessen prozentuale Höhe hat sie aber nicht angegeben und darüber hinaus hat sie nur abstrakte, nicht auf die konkrete Beitragserhöhung bezogene Angaben gemacht. Ob dies den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt, ist umstritten.

(1) Der Bundesgerichtshof hat im Urteil vom 19. Dezember 2018 - IV ZR 255/17, juris Rn. 64 nur betont, dass geprüft werden muss, "ob die Prämienanpassungen ausreichend im Sinne von § 203 Abs. 5 VVG begründet worden sind", dazu aber aus Sicht des Senats keine - auch keine konkludente - Stellung zu den formalen Anforderungen bezogen.

(2) Instanzrechtsprechung und Literatur sind uneinheitlich:

(a) Teils wird die Ansicht vertreten, dass nur der Grund für die Neufestsetzung angegeben werden muss (Brand, VersR 2018, 453, 455; ähnlich wohl Wendt, VersR 2018, 449, 453; Voit in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 204 Rn. 49 im Ansatz auch OLG Celle, Urteil vom 20. August 2018 - 8 U 57/18, VersR 2018, 1179, juris Rn. 99 ff.), also ob der auslösende Faktor in einer Veränderung der Leistungsausgaben oder der Sterbewahrscheinlichkeiten liegt (§ 203 Abs. 3 Satz 3 mit Satz 2 VVG).

(b) Nach anderer Ansicht ist zusätzlich zumindest die konkrete Angabe erforderlich, um welchen Wert (und in welche Richtung) sich der auslösende Faktor verändert hat (OLG München, Beschluss vom 6. März 2019 - 25 U 1969/18, Anl. BK8, GA V 684 ff., sub. 3 ["wohl auch"]; LG Hildesheim, Urteil vom 27. Februar 2019 - 3 O 132/18, BK7, GA V 700 ff.; LG Neuruppin, Urteil vom 25. August 2017 - 1 O 338/16, VersR 2018, 469, juris Rn. 27; BeckOK-VVG/Gram-se, § 203 Rn. 54, Stand: 1. Januar 2018 Klimke, VersR 2016, 22, 23; Laux, jurisPR-VersR 4/ 2016 Anm. 1 sub. E; aA OLG Celle, Urteil vom 20. August 2018 - 8 U 57/18, VersR 2018, 1179, juris Rn. 99 f.; Brand, VersR 2018, 453, 455 f.).

(c) Schließlich wird die Ansicht vertreten, dass die wichtigsten Gründe angegeben werden müssen, die die Rechtsposition des Versicherungsnehmers am stärksten verändern; dazu soll beispielsweise auch die Absenkung des Rechnungszinses gehören (Boetius in MünchKomm-VVG, 2. Aufl., § 203 Rn. 1155b f.).

(d) Die weitgehendste Ansicht fordert darüber hinaus weitere Angaben wie etwa den Namen und die Anschrift des Treuhänders (Klimke, VersR 2016, 22, 23).

cc) Nach vorläufiger rechtlicher Würdigung neigt der Senat - im Ergebnis mit dem Landgericht - dazu, dass § 203 Abs. 5 VVG in formaler Hinsicht nur die Angabe der maßgeblichen Rechnungsgrundlage (Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeit) erfordert (Ansicht a), ohne dass - unabhängig von einer Aufforderung des Versicherungsnehmers - die Höhe der Veränderung (Ansicht b) oder noch weitere Angaben (Ansichten c und d) gemacht werden müssen. Allerdings hat der Versicherungsnehmer aus Sicht des Senats aufgrund einer vertraglichen Nebenpflicht des Versicherers einen Anspruch auf Auskunft darüber, um welchen Faktor die als auslösender Faktor maßgebliche Rechnungsgrundlage sich verändert hat (Ansicht b), auf der Veränderung welcher Rechnungsgrundlage(n) (ggf. insb. auch der Absenkung des Rechnungszinses) die Höhe der den Versicherungsnehmer betreffenden konkreten Neufestsetzung beruht (Ansicht c) und welcher Treuhänder zugestimmt hat (Ansicht d). Dieser Anspruch, der im H...

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