Leitsatz (amtlich)
Die Entscheidung eines Gerichts des italienischen Herkunftsstaates eines i.S.v. Art. 3 HKÜ widerrechtlich nach Deutschland verbrachten Kindes, die dessen Hauptwohnsitz vorläufig bei dem entführenden Elternteil im Zufluchtsstaat anordnet, steht einer Rückgabeanordnung (Art. 12 Abs. 1 HKÜ) entgegen, da eine solche das Kind in eine unzumutbare Lage i.S.v. Art. 13 Abs. 1 lit. b HKÜ bringen würde. Die Entscheidung des Gerichts in dem Herkunftsstaat muss wirksam i.S.v. Art. 17 HKÜ sein; auf ihre Vollstreckbarkeit kommt es nicht an.
Verfahrensgang
AG Stuttgart (Beschluss vom 26.01.2015; Aktenzeichen 24 F 2508/14) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Stuttgart vom 26.1.2015 - 24 F 2508/14, wie folgt abgeändert:
Die Anträge des Antragstellers auf Rückführung des beteiligten Kindes L., geb. am ... 2012, nach Italien, hilfsweise auf Herausgabe des Kindes, werden zurückgewiesen.
2. Die Gerichtskosten beider Instanzen tragen beide Elternteile jeweils zur Hälfte. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt die Rückführung des beteiligten Kindes nach Italien.
Das Kind L., geb. am ... 2012, ist aus der nichtehelichen Beziehung seiner Eltern hervorgegangen. Die Antragsgegnerin, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt und seit 2005 in Italien lebt, und der Antragsgegner, der italienischer Staatsangehöriger ist, lernten sich im Oktober 2009 kennen. Von Juli 2011 bis September 2013 lebten sie in einer Wohnung in P., in den Abruzzen (Italien), zusammen. Im September 2013 mieteten die Beteiligten eine weitere Wohnung in der Ortschaft A. an, die sie während der Woche bewohnten. Die Wohnung in P. nutzten die Beteiligten bis zu ihrer Trennung im April/Mai 2014 weiterhin am Wochenende. Im Mai 2014 verzog die Antragsgegnerin mit dem gemeinsamen Sohn in eine kleine Ortschaft namens M., ebenfalls in den Abruzzen. Von da an hielt sich der gemeinsame Sohn drei Tage pro Woche bei dem Antragsteller und vier Tage pro Woche bei der Antragsgegnerin auf. Die letzte Augustwoche verbrachte das Kind bei dem Antragsteller. Am 1.9.2014 flog die Antragsgegnerin mit dem Kind für einen Urlaubsaufenthalt nach Sylt, von dem sie am 7.9.2014 nach Italien zurückkehrte. Am 14.9.2014 zog die Antragsgegnerin mit dem gemeinsamen Sohn zu ihren Eltern nach Deutschland um, ohne den Antragsteller hierüber zu informieren. Der Antragsteller ist mit dem Verbleib des Kindes in Deutschland nicht einverstanden.
Der Antragsteller hat erstinstanzlich beantragt,
1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Kind L., geb. am ... 2012, derzeitige Anschrift ..., innerhalb einer angemessenen Frist nach Italien zurückzuführen;
2. sofern die Antragsgegnerin der Verpflichtung zu 1. nicht nachkommt, die Herausgabe des Kindes L. an den Antragsteller zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach Italien anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat - unter Zurücknahme ihres weiteren Antrags auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für das Kind auf sich - beantragt, den Antrag zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 22.12.2014 hat das Familiengericht dem beteiligten Kind einen Verfahrensbeistand, Frau K., bestellt und diesen, sowie die Eltern des Kindes in einem Erörterungstermin persönlich angehört.
Mit Beschluss vom 26.1.2015 hat das Familiengericht die Antragsgegnerin verpflichtet, das beteiligte Kind innerhalb von zwei Wochen nach Rechtskraft des Beschlusses nach Italien zurückzuführen. Für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommt, wurde sie oder jede andere Person, bei der sich das Kind aufhält, darüber hinaus verpflichtet, das Kind an den Antragsteller oder eine von ihm zu benennende Person zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach Italien herauszugeben. Für die zwangsweise Durchsetzung dieser Verpflichtung hat das Familiengericht weitere Anordnungen erlassen. Zur Begründung hat das Familiengericht ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Rückführung des Kindes nach Italien gem. Art. 12 Abs. 1 Alt. 1 des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ) seien erfüllt. Die Antragsgegnerin habe das Kind widerrechtlich nach Deutschland verbracht. Versagungsgründe gem. Art. 13 HKÜ lägen nicht vor. Die Rückführung sei schließlich mit Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vereinbar.
Gegen diesen Beschluss, der ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 2.2.2015 zugestellt wurde, hat die Antragsgegnerin mit Beschwerdeschriftsatz vom 16.2.2015, der am selben Tag per Fax bei dem AG Stuttgart einging, Beschwerde eingelegt.
Zuvor, am 9.2.2015, hatte das Tribunale di Teramo, Italien, nach Anhörung der Beteiligten einen Beschluss mit folgendem Inhalt erlassen (die Wiedergabe folgt einer von der Antragsgegnerin vorgelegten Übersetzung):
Das Gericht von Teramo als Kollegialgericht:
I) verfügt vorlä...