Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren für eine Unterhaltsklage: Einsatz von aus einer Schmerzensgeldzahlung entstandenem Vermögen

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Einsatz eines aus einer Schmerzensgeldzahlung entstandenen Vermögens zur Bestreitung von Prozesskosten ist unzumutbar.

 

Normenkette

ZPO §§ 114, 155 Abs. 3 S. 2, § 115 Abs. 3 S. 2; SGB XII § 90 Abs. 3

 

Verfahrensgang

AG Reutlingen (Beschluss vom 30.03.2007)

 

Gründe

Die nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte, gem. § 569 ZPO form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache vorläufig Erfolg. Die Begründung in der angefochtenen Entscheidung rechtfertigt keine Abweisung des Prozesskostenhilfeantrags. Vielmehr ist die Antragsstellerin bedürftig i.S.v. § 115 ZPO. Da sich das Familiengericht über die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Unterhaltsklage ab Oktober 2006 bislang nicht geäußert hat, soll die Zurückverweisung Gelegenheit bieten, über das Gesuch der Antragsstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats insgesamt neu zu entscheiden.

Die Antragstellerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Prozesskosten zu bestreiten. Sie ist Studentin und erzielt lediglich Kapitaleinkünfte i.H.v. 617,50 EUR im Jahr. Ihr Wertpapiervermögen in der Größenordnung von 34.000 EUR hat abweichend von der Beurteilung in erster Instanz außer Betracht zu bleiben. Dessen Verwertung scheitert an den in § 90 Abs. 3 SGB XII genannten Härtegründen, auf welche in § 115 Abs. 3 S. 2 ZPO verwiesen ist. Denn nach § 115 Abs. 3 ZPO hat die antragsstellende Prozesspartei ihr Vermögen nur zu einzusetzen, soweit dies zumutbar ist (§ 115 Abs. 3 ZPO). Dies ist vorliegend zu verneinen, weil das Wertpapiervermögen aus einer im Jahr 2004 zugeflossenen Schmerzensgeldzahlung stammt. Die Antragsstellerin hatte bei einem Verkehrsunfall erhebliche Verletzungen erlitten.

Zur vorausgegangenen inhaltsgleichen Regelung in § 88 Abs. 3 BSHG hat das BVerwG entschieden, dass der Einsatz von Schmerzensgeld als Vermögen für den Hilfesuchenden grundsätzlich eine Härte i.S.v. § 88 Abs. 3 BSHG bedeute (BVerwG FamRZ 1995, 1348; BVerwG, FEVS 57, 212). Danach sei das Schmerzensgeld in seiner ganzen noch vorhandenen Höhe geschützt und nicht nur mit einem bestimmten festen oder prozentualen Anteil. Die Höhe des Schmerzensgeldes hänge nämlich allein von der Schwere der Schädigung und dem Gewicht des erlittenen Unrechts ab, weshalb es nicht gerechtfertigt sei, die freie Verfügbarkeit des zu deren Ausgleich und Genugtuung erhaltenen Schmerzensgeldes in Teilen einzuschränken.

Diese Wertung hat der Bundesgerichthof für das Prozesskostenhilfeprüfverfahren im Rahmen des § 90 Abs. 3 SGB XII übernommen (BGH, FamRZ 2006, 548) und ausgeführt, dass beim Schmerzensgeld vor allem die schadensausgleichende Funktion und opferbezogene Merkmale wie Umfang und Dauer der Schmerzen, Entstellungen, Leiden und Eingriffe in das Leben des Opfers im Vordergrund stünden und dass es der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes entspreche, das Leben des Geschädigten in gewissem Umfang zu erleichtern. Dies sei hingegen nur gewährleistet, wenn das Opfer das Schmerzensgeld zur eigenen freien Verfügung behalte und nicht für Prozesskosten oder seinen notwendigen Lebensunterhalt aufwenden müsse.

Zwar hatte sich der BGH in dem zitierten Beschluss lediglich mit der Anrechenbarkeit eines Schmerzensgeldes aufgrund einer Persönlichkeitsverletzung zu befassen und er hat für diesen Fall das Ergebnis einer Einzelfallbetrachtung unterstellt. Indessen kann aufgrund der hierfür gegebenen Begründung, insbesondere aus der vorgenommenen Abgrenzung immaterieller Ausgleichzahlungen für Persönlichkeitsverletzungen auf der einen Seite und für Körperschäden auf der anderen davon ausgegangen werden, dass für letztere höchstrichterlich geklärt ist, dass deren Einsatz zur Deckung sozialhilferechtlichen Bedarfs angesichts der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes regelmäßig eine Härte i.S.d. § 90 Abs. 3 SGB XII bedeuten würde. Dies hat auch das BVerfG in seinem Beschluss vom 11.7.2006 (abgedruckt in FamRZ 2006, 1824) so gesehen und hat eine von der gerichtlichen Praxis abweichende Einbeziehung von Schmerzensgeld in § 7 Abs. 1 Satz 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes als verfassungswidrig, weil gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßend, gewertet.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2022480

FamRZ 2007, 1661

HRA 2007, 12

OLGR-Süd 2008, 664

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge