Verfahrensgang

AG Stuttgart (Beschluss vom 03.05.2023; Aktenzeichen 20 F 496/23)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 03.05.2023, Az. 20 F 496/23, wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

4. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin Y., Stuttgart, ratenfrei Verfahrenskostenhilfe bewilligt.

 

Gründe

I. 1. a) Die Antragstellerin begehrt die Rückführung des gemeinsamen minderjährigen Kindes Amir Ait B., geboren am ...2019, in Fes, nach Marokko gemäß dem Haager Kindesentführungsübereinkommen (HKÜ).

Die Eltern des Kindes Amir sind seit dem 29.12.2016 miteinander verheiratet. Der Vater (Antragsgegner), der die deutsche Staatsangehörigkeit hat, hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Die Mutter (Antragstellerin), die die marokkanische Staatsangehörigkeit hat, lebt in Marokko. Amir, der über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt, wurde in Marokko geboren und lebte dort bis zum 13.06.2022 in der Obhut der Mutter. Im Juni 2022 reiste der Antragsgegner nach Marokko, um die Kindsmutter und das gemeinsame Kind dort zu besuchen. Zwischen den Eltern hatten Gespräche stattgefunden darüber, dass die Familie gemeinsam nach Deutschland reisen sollte. Am 13.06.2022 reiste der Antragsgegner dann mit dem Kind Amir alleine nach Deutschland, die Mutter blieb in Marokko.

Die Antragstellerin trägt vor, dass sie mit einem dauerhaften Verbleib des Kindes Amir in Deutschland nie einverstanden gewesen sei und insbesondere einem Verbringen Amirs nach Deutschland durch den Antragsgegner zu keinem Zeitpunkt zugestimmt habe. Nachdem der Antragsgegner sich mit ihr und dem Kind Amir in einem Hotel in Khemisset aufgehalten habe, sei der Antragsgegner mit dem gemeinsamen Kind Amir verschwunden, während sie weiter im Hotel auf den Antragsgegner gewartet habe. Am 14.06.22 habe sie dann erfahren, dass er das gemeinsame Kind nach Deutschland gebracht habe, wogegen sie umgehend protestiert und dem Antragsgegner zahlreiche WhatsApp-Text- und -Sprachnachrichten geschickt habe, durch die sie ihn aufgefordert habe, Amir nach Marokko zurückzubringen. Sie habe keinerlei Reisevollmachten oder sonstige Vollmachten im Hinblick auf die Ausreise des gemeinsamen Sohnes mit dem Vater nach Deutschland unterzeichnet. Dessen ungeachtet habe sie mit Schreiben vom 27.10.2022 sämtliche, eventuell existierende Vollmachten gegenüber dem Antragsgegner schriftlich widerrufen.

Die Antragstellerin hat im ersten Rechtszug beantragt,

den Antragsgegner zu verpflichten, das Kind Amir Ait B., geboren am ...2019, derzeitige Anschrift O.-Str. ..., S., innerhalb einer angemessenen Frist nach Marokko zurückzuführen;

sofern der Antragsgegner der Verpflichtung nicht nachkommt, die Herausgabe des Kindes Amir Ait B. an die Antragstellerin zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach Marokko anzuordnen.

Der Antragsgegner hat beantragt, die Anträge der Antragstellerin zurückzuweisen.

Er trägt vor, er sei am 13.06.2022 mit ausdrücklicher Zustimmung der Antragstellerin mit dem Kind Amir aus Marokko nach Deutschland gereist, so dass kein widerrechtliches Verbringen vorliege. Die Eltern seien sich schon länger darüber einig gewesen, dass Amir in Deutschland aufwachsen solle. Die Antragstellerin habe nicht mitreisen können, da sie zu diesem Zeitpunkt kein Visum gehabt habe. Die Eltern seien sich aber darüber einig gewesen, dass ihre gemeinsame Zukunft in Deutschland sein solle. Bereits am 04.04.2022 habe die Antragstellerin dem Antragsgegner deshalb die schriftliche Erlaubnis zur Ausreise aus Marokko erteilt, die auf dem Bürgeramt der Gemeinde Khemisset beglaubigt worden sei. Zudem habe die Antragstellerin am 10.06.2022 dem Antragsgegner eine weitere Einverständniserklärung zur Reise mit dem Kind nach Deutschland erteilt. Sie sei zunächst nur deshalb besorgt gewesen, weil er nach der Reise nach Deutschland für ein paar Tage nicht erreichbar gewesen sei, deshalb habe sie viele Text- und Sprachnachrichten geschickt. Später habe sie sich aber über den Aufenthalt von Amir in Deutschland gefreut. Es liege auch kein widerrechtliches Zurückhalten des Kindes vor, da die Eltern keine zeitliche Befristung des Aufenthalts des Kindes in Deutschland vereinbart hätten. Ein Widerruf der Zustimmung zum Aufenthalt von Amir in Deutschland könne frühestens zum Zeitpunkt der Antragstellung angenommen werden, also am 24.03.2023. Zu diesem Zeitpunkt habe Amir bereits seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland begründet gehabt. Im Übrigen sei die Kindesmutter krank, habe starke Depressionen und habe sich um das Kind nicht gekümmert.

Der Verfahrensbeistand hat in seinem Bericht vom 19.04.2023 die Rückführung Amirs nach Marokko wegen eines widerrechtlichen Verbringens durch den Vater nach Deutschland befürwortet. Das Jugendamt Stuttgart hat inhaltlich nicht Stellung g...

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