Entscheidungsstichwort (Thema)

Strafvollzug in Baden-Württemberg. Stromkostenbeteiligung für Geräte im Besitz der Gefangenen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Beteiligt die Justizvollzugsanstalt einen Gefangenen nach § 9 Abs. 2 JVollzGB I an den Betriebskosten der sich in seinem Besitz befindenden Geräte, muss die Ermessensentscheidung - auch wenn sie einer allgemein geltenden Verwaltungsvorschrift folgt - berücksichtigen, dass die Gefangenen grundsätzlich einen Anspruch auf kostenfreie Sicherstellung ihres Grundbedarfs haben, der in gewissem Umfang auch den Empfang von Fernsehprogrammen umfasst.

2. Der den Gefangenen grundsätzlich kostenfrei zur Verfügung zu stellende Grundbedarf an Zugang zum Empfang von Fernsehprogrammen erfordert es nicht, dass die Gefangenen in ihren Hafträumen die Möglichkeit zum kostenfreien Betrieb von Fernsehgeräten haben. Der Grundbedarf kann auch durch Gemeinschaftsfernsehen gewährleistet werden, wenn es dem einzelnen Gefangenen in einer Weise zugänglich ist, die sein grundrechtlich geschütztes Existenzminium deckt.

3. Einem mittellosen Gefangenen ist es nicht zuzumuten, sein Taschengeld (§ 53 Abs. 1 Satz 1 JVollzGB III) vollständig oder nahezu vollständig einzusetzen, um seinen grundrechtlich geschützten Mindestbedarf des Empfangs von Radio- und Fernsehprogrammen zu gewährleisten.

 

Normenkette

JVollzGB I BW § 9 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Ravensburg (Entscheidung vom 29.07.2014; Aktenzeichen 7 StVK 195/14)

 

Tenor

  1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Ravensburg vom 29. Juli 2014

    abgeändert.

    und wie folgt neu gefasst:

    1. Auf den Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung wird die Entscheidung der Antragsgegnerin, dem Antragsteller keine Betriebskosten zu erstatten,

      aufgehoben.

    2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut über den Antrag des Antragstellers auf Rückerstattung von Betriebskosten für die sich in seinem Besitz befindenden Geräte für den Zeitraum Juli 2012 bis November 2012 und März 2013 bis Mai 2014 zu entscheiden.
    3. Im Übrigen wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet

    verworfen.

  2. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen hat der Antragsteller zu tragen, jedoch wird die Gebühr für das Verfahren jeweils um die Hälfte ermäßigt. Dem Antragsteller ist die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.
  3. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 97,30 € festgesetzt.
 

Gründe

I.

Der Antragsteller verbüßt eine Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt ............(im Folgenden: Antragsgegnerin). Er begehrt die Rückzahlung von 26,50 € Stromkosten für den Zeitraum von Juli 2012 bis November 2012 und von 70,80 € für den Zeitraum März 2013 bis Mai 2014. Die Antragsgegnerin lehnte dies ab. Die Antragsgegnerin macht von der durch § 9 Abs. 2 JVollzGB I eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, die Gefangenen an den Betriebskosten der in ihrem Besitz befindlichen Geräte zu beteiligen. Ab dem Jahr 2014 erhebt sie entsprechend der Verwaltungsvorschrift des Justizministeriums über die Entschädigung für Leistungen der Justizvollzugsanstalten (VwV-Kostenregelungen Vollzug; Die Justiz 2014, S. 89) gemäß Position 645 eine sogenannten "Kombi-Pauschale" von 6 € für den Betrieb eines Fernsehgeräts, eines Radios, einer Leselampe und eines Tauchsieders oder Wasserkochers. Diesen Betrag buchte sie monatlich vom Gefangenenkonto des Antragstellers ab, der die betreffenden Geräte in seinem Haftraum betreibt. Das Fernsehgerät mietete er vermittelt durch die Antragsgegnerin für monatlich 21,30 €. Der Antragsteller erhielt monatlich 34,23 € Taschengeld.

Der Antragsteller hat vorgetragen, um seinen Grundbedarf an tagesaktuellen Informationen zu befriedigen, sei er darauf angewiesen, ein Fernsehgerät zu mieten, weil die Antragsgegnerin den Gefangenen keine andere Möglichkeit zum Empfang von Radio- und Fernsehprogrammen biete. Er ist der Ansicht, die Antragsgegnerin dürfe von den Gefangenen keine Betriebskosten erheben, soweit diese dazu dienten, eine den Gefangenen garantierte und kostenfrei zur Verfügung zu stellende Grundversorgung zu gewährleisten. Er rügt weiter die Berechnung der Stromkostenpauschale und behauptet, diese überscheite die tatsächlich anfallenden Kosten. Die zur Miete angebotenen Fernsehgeräte würden entgegen der Behauptung der Antragsgegnerin deutlich weniger als 65 W Energie verbrauchen oder würden nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen. Schließlich rügt der Antragsteller, die Justizvollzugsanstalt habe bei ihrer Entscheidung, von ihm die Stromkostenpauschale zu erheben, ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt.

Der Antragsteller hat sinngemäß beantragt,

die Antragsgegnerin unter Aufhebung ihrer ablehnenden Entscheidung zu verpflichten, ihm für überzahlte Betriebskosten 97,30 € zu erstatten.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag des Antragstellers als unbegründet zu verwerfen.

Sie hat vorgetragen, die Fernsehgeräte, welche die Gefangenen mieten können, hätten eine Leistungs...

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