Leitsatz (amtlich)
›Erhebt der Verurteilte Einwendungen gegen die Berechnung der erkannten Strafe, ist hierüber infolge prozessualer Überholung nicht zu entscheiden, wenn er vor der gerichtlichen Entscheidung gemäß § 458 Abs. 1 StPO die Strafe vollständig verbüßt hat. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 96, 27) steht dem nicht entgegen.‹
Verfahrensgang
LG Tübingen (Entscheidung vom 31.07.2002; Aktenzeichen 12 StVK 2511/02) |
LG Tübingen (Entscheidung vom 31.07.2002; Aktenzeichen 12 StVK 2512/02) |
Gründe
1. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte den Beschwerdeführer am 27. Februar 1996 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis u.a. zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung. Zwei Drittel dieser Strafe hatte H. H. am 05. September 1997 verbüßt; eine bedingte Entlassung zu diesem Zeitpunkt wurde abgelehnt. Das Strafende war für den 05. Januar 1998 vorgemerkt. Am 15. April 1997 - rechtskräftig seit dem 26. November 1997 - verhängte das Amtsgericht Stuttgart gegen ihn wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis erneut eine Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung. Diese Strafe verbüßte er ab dem 06. Januar 1998. Am 11. März 1998 unterbrach die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil vom 27. Februar 1996 "rückwirkend mit Wirkung vom 26. November 1997" zur Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil vom 15. April 1997, sodass von der Strafe aus dem Urteil vom 27. Februar 1996 noch 41 Tage (betreffend den Zeitraum vom 26. November 1997 bis zum 05. Januar 1998) nicht vollstreckt waren. Mit Beschluss vom 25. Juli 1998 setzte die Strafvollstreckungskammer die Vollstreckung der Strafreste aus beiden Urteilen (41 Tage aus dem Urteil vom 27. Februar 1996 und 110 Tage aus dem Urteil vom 15. April 1997) zur Bewährung aus. Am 16. Mai 2000 musste die Aussetzung widerrufen werden. Vom 13. November 2000 bis 21. Dezember 2000 verbüßte der Beschwerdeführer die Reststrafe von 41 Tagen und vom 22. März 2002 bis zum 9. Juli 2002 den Rest von 110 Tagen Freiheitsstrafe.
Mit Schreiben vom 08. April 2002 und 25. April 2002 hat der Verurteilte geltend gemacht, er habe von den 110 Tagen bereits 43 Tage verbüßt, sodass er eine entsprechende Zeit vor dem 09. Juli 2002 entlassen werden müsse. Die Rechtspflegerin wies mit Verfügung vom 07. Mai 2002 dieses Vorbringen zurück; eine Anrechnung könne nicht erfolgen. Der Staatsanwalt blieb auf Einwendung des Beschwerdeführers hin in seiner Verfügung vom 07. Juni 2002 bei dieser Beurteilung. In seinem Schreiben vom 13. Juni 2002 hat H. H. auf gerichtliche Entscheidung angetragen. Mit Beschluss vom 31. Juli 2002 wies die Strafvollstreckungskammer die Einwendungen des Beschwerdeführers gegen die Strafzeitberechnung zurück. Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten, der in der Sache nichts Neues vorträgt.
2. Das Rechtsmittel ist unzulässig, da es infolge prozessualer Überholung an einer gegenwärtigen, fortdauernden Beschwer des Verurteilten fehlt. Ziel eines Rechtsmittels ist die Aufhebung einer den Beschwerdeführer beeinträchtigenden Maßnahme. Kann diese aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht mehr ungeschehen gemacht werden, ist das Rechtsmittel grundsätzlich nicht zulässig. Dies gilt auch, wenn die beschwerende Maßnahme durch den Fortgang des Verfahrens gegenstandslos geworden ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., Rdnr. 17 vor § 296), so etwa im Fall der Ablehnung der bedingten Entlassung nach vollständiger Verbüßung der Strafe (OLG Hamm NStZ 1998, 638). Dieser Grundsatz gilt auch, wenn - wie vorliegend - Einwendungen gemäß § 458 Abs. 1 StPO gegen die Berechnung der Strafzeit erhoben werden. Durch die Strafzeitberechnung gemäß §§ 37 ff. Strafvollstreckungsordnung wird die tatsächliche Dauer der zu vollstreckenden Strafe festgesetzt (s. Pohlmann/Jabel/Wolf, Strafvollstreckungsordnung, 8. Aufl., 2001, § 37 Rdnr. 2). Hat der Verurteilte die Strafe vollständig verbüßt, entfaltet die Strafzeitberechnung keine gestaltende Wirkung mehr; eine gerichtliche Feststellung, die Strafe sei falsch berechnet worden, ginge jedenfalls dann ins Leere, wenn sich - was der Verurteilte vorliegend begehrt - ergibt, das Strafende hätte zeitlich früher liegen müssen.
Ein Rechtschutzinteresse besteht auch nicht deshalb, weil der Beschwerdeführer einen Anspruch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Strafzeitberechnung hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 96, 27) ist eine solche Feststellung im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG in Fällen tiefgreifender, tatsächlich jedoch nicht mehr fortwirkender Grundrechtseingriffe geboten, wenn sich die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann. Zwar wird durch den Freiheitsentzug in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eingegriffen. Andere...