Leitsatz (amtlich)
1. Zur Streitwertfestsetzung in Kartellschadensersatz-Fällen.
2. § 89a Absatz 3 GWB in der Fassung vom 09.06.2017 ist nicht anzuwenden, wenn der Streithelfer den Beitritt vor dem Inkrafttreten der Neuregelung erklärt hat. Auf den Zeitpunkt der Streitverkündung kommt es nicht an.
3. § 89a Absatz 3 Satz 1 GWB regelt lediglich die Kostenerstattungspflicht des Gegners bezüglich der Rechtsanwaltskosten des Streithelfers. Auf den Honoraranspruch des Rechtsanwaltes des Streithelfers hat die Vorschrift keinen Einfluss.
4. § 89a Absatz 3 GWB ist auch anwendbar, wenn der Schadensersatzanspruch auf § 33 Absatz 3 GWB a.F. gestützt wird.
5. Stellt der Kläger einen unbezifferten Zahlungsantrag unter Angabe seiner Mindestvorstellung, so erreicht der Streitwert jedenfalls den vom Kläger angegebenen Mindestbetrag. Geht das Gericht im Urteil über die Mindestvorstellungen des Klägers hinaus, bildet der zugesprochene Betrag den Streitwert ab. Bleibt es hinter den Vorstellungen zurück, richtet sich der Streitwert nach der Mindestvorstellung des Klägers. Wurde die Klage zurückgenommen, bevor das Gericht Feststellungen zur Schadenshöhe treffen konnte, fehlen Anknüpfungspunkte dafür, den Streitwert höher festzusetzen als die geäußerte Mindestvorstellung des Klägers.
Normenkette
GWB § 89a
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 23.12.2019; Aktenzeichen 30 O 57/17) |
Tenor
1. Die Beschwerden der Beklagten Ziff. 4, 5, 7 sowie der Prozessbevollmächtigten der Streithelferin Ziff. 3 gegen den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 23.12.2019 - 30 O 57/17 - werden als unzulässig verworfen.
2. Die Beschwerden des Klägers sowie der Beklagten Ziff. 6 und der Streithelferin Ziff. 3 gegen den vorgenannten Beschluss werden zurückgewiesen.
Gründe
Einige der Parteien im Verfahren des LG Stuttgart, 30 O 57/17, wenden sich gegen die Festsetzung des Streit- und Gegenstandswerts mit Beschluss des Landgerichts vom 23.12.2019.
I. 1. Der Kläger erhob gegen die acht Beklagten im Dezember 2016 Klage auf Feststellung einer gesamtschuldnerischen Haftung für Schäden aus kartellwidrigen Verhaltensweisen, wobei die Beklagten für unterschiedliche Zeiträume, wie in der nachfolgenden Übersicht, in Anspruch genommen wurden.
Zeitraum |
Bekl. 1 |
Bekl. 2 |
Bekl. 3 |
Bekl. 4 |
Bekl. 5 |
Bekl. 6 |
Bekl. 7 |
Bekl. 8 |
01.10.2003 bis 29.02.2004 |
X |
X |
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X |
X |
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01.03.2004 bis 31.10.2005 |
X |
X |
X |
X |
X |
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01.11.2005 bis 31.03.2006 |
X |
X |
X |
X |
X |
X |
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01.04.2006 bis 31.12.2007 |
X |
X |
X |
X |
X |
X |
X |
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01.01.2008 bis 31.12.2008 |
X |
X |
X |
X |
X |
X |
X |
X |
In der Klageschrift beschrieb der Kläger das beanstandete Verhalten sowie die Umsätze der Insolvenzschuldnerin mit Produkten der Beklagten. Bezifferte Angaben zum Streitwert machte der Kläger nicht und bat das Gericht um eine Streitwertschätzung (Klage, S. 230). Mit Beschluss vom 29.12.2016 (Bl. I-238) wies das Gericht den Kläger darauf hin, dass es mangels näherer Angaben den vermeintlichen Schaden auf 20 % des Einkaufspreises aller erworbenen kartellbefangenen Waren veranschlage und von dem so ermittelten Betrag für den Feststellungsantrag einen Abschlag von 50 % vornehme. Weiter bat es den Kläger um Mitteilung der Summe der Einkaufspreise. Daraufhin gab der Kläger diese mit 273.208.792,00 Euro an (Bl. I-247). Entsprechend der angekündigten Schätzungsmethode setzte das Landgericht den Streitwert vorläufig auf 27.320.879,00 Euro fest (Bl. I-249). Verschiedene Unternehmen, denen von Seiten der Beklagten der Streit verkündet worden war, traten dem Rechtsstreit bei, die Streithelferin F. am 27.07.2017 zur Unterstützung der Beklagten Ziff. 1, 2, 6 und 7.
Mit Schriftsatz vom 15.03.2018 (Bl. IX-1620) stellte der Kläger die Klage auf eine Leistungsklage um. Ein eingeholtes Parteigutachten habe gezeigt, dass der Insolvenzschuldnerin ein Schaden in Höhe von mindestens 10.253.061,00 Euro zzgl. Zinsen entstanden sei. Die Anträge waren darauf gerichtet, die im jeweiligen Antrag bezeichneten Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger eine Schadensersatzzahlung zu leisten, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, mindestens jedoch eine bestimmte Summe. Das Landgericht legt seinem Beschluss zugrunde, dass in der Hauptsache, wie in der nachfolgenden Tabelle, von den Beklagten folgender Mindestschaden verlangt wurde (Bl. 319 ff. des Schriftsatzes):
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Summe |
Bekl 1 |
Bekl 2 |
Bekl 3 |
Bekl 4 |
Bekl 5 |
Bekl 6 |
Bekl 7 |
Bekl 8 |
1 |
196.311,00 Euro |
X |
X |
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X |
X |
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2 |
2.660.929 Euro |
X |
X |
X |
X |
X |
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3 |
2.780.399 Euro |
X |
X |
X |
X |
X |
X |
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4 |
1.152.366 Euro |
X |
X |
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X |
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5 |
2.287.286 Euro |
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X |
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X |
6 |
772.895 Euro |
X |
X |
X |
X |
X |
X |
X |
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7 |
119.025 Euro |
X |
X |
X |
X |
X |
X |
X |
X |
2. Das Landgericht setzte den für die Gerichtskosten maßgeblichen Streitwert im Beschluss vom 23.12.2019 (Bl. XXIV-2665) bis zum 15. August 2018 auf 27.320.879,00 Euro und fortan auf 9.969.211,00 Euro fest. Hinsichtlich der Streithelfer, die ihren Beitritt vor der Einführung von § 89a Absatz 3 GWB erklärt haben, setzte das Landgericht auf Antrag des Klägers den für die Anwaltsvergütung maßgeblichen Gegenstandswert aus dem Prozessrechtsverhältnis der unterstützten Parteien f...