Entscheidungsstichwort (Thema)
Eine vom Wortlaut des in einem gemeinschaftlichen Testament verwendeten juristischen Fachbegriffs abweichende Auslegung ist nur möglich, wenn Umstände erwiesen sind, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Schluss zulassen, dass die Testierenden dem verwendeten Terminus im Zeitpunkt der Testamentserrichtung übereinstimmend eine abweichende Bedeutung zugemessen haben. (Rn. 32)
Leitsatz (amtlich)
Eine "einseitige" Anordnung in einem gemeinschaftlichen Testament ist dahingehend zu verstehen, dass sie unabhängig von dem Mittestator und ohne Beachtung der nach § 2271 Abs. 1 BGB für den Rücktritt von einem Erbvertrag geltenden Vorschriften des § 2296 BGB zu Lebzeiten und nach dem Ableben des Ehepartners frei widerrufen bzw. abgeändert werden kann. (Rn. 27)
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 2270 Abs. 1-2, § 2271 Abs. 1, §§ 2296, 2299
Verfahrensgang
AG Böblingen (Beschluss vom 27.09.2021; Aktenzeichen 61 VI 660/21) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 4 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Böblingen - Nachlassgericht - vom 27.09.2021 - Az. 61 VI 660/21 - wird zurückgewiesen.
2. Der Beteiligte zu 4 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I. Die am 13.06.2020 kinderlos verstorbene Erblasserin H., deren Ehemann am 04.11.1984 vorverstorben war, hat folgende letztwillige Verfügungen hinterlassen:
Gemeinschaftliches Testament der Eheleute vom 01.07.1984 mit folgendem Wortlaut:
"Wir die Eheleute H. vereinbaren:
1. Wir setzen uns gegenseitig als Alleinerben (Vollerben) ein.
2. Der überlebende Ehegatte setzt, auch für den Fall des gleichzeitigen Ablebens, einseitig letztwillig, zu seinen Erben ein:
a) die Verwandten des Ehemanns zur Hälfte,
b) die Abkömmlinge des Bruders der Ehefrau zur Hälfte, unter sich zu gleichen Teilen.
Sollte zum Zeitpunkt des Todestags des überlebenden Ehegatten der Bruder des Ehemanns gestorben sein, so setzen wir zu unseren Erben ein:
Die Abkömmlinge der Geschwister beider Erblasser unter sich zu gleichen Teilen."
Das Testament ist von dem verstorbenen Bürgermeister a.D. B. "als Zeuge" mit unterschrieben. Die Eheleute hatten es in der Erwartung des nahen prognostizierten krankheitsbedingten Ablebens des Herrn H. errichtet.
Notarielles Testament vom 25.01.2017 mit dem die Erblasserin ihren Neffen, den Beteiligten zu 2, und ihre Nichten, die Beteiligten zu 1 und 3 zu Erben zu jeweils einem Drittel einsetzte.
In der notariellen Testamentsurkunde hat die Erblasserin einleitend folgende Erklärung abgegeben:
"In Ziff. 2 des vorgenannten Testaments vom 1. Juli 1984 ist bestimmt, dass die Verfügung auf den Tod des Überlebenden der Ehegatten H. 'einseitig letztwillig' getroffen wurde. Bei der Erbfolgenregelung in Ziff. 2 des vorgenannten Testaments ... handelt es sich also um eine einseitige und somit nicht um eine wechselbezügliche Bestimmung, so dass ich als überlebender Ehegatte berechtigt bin, die auf meinen Tod als überlebender Ehegatte in Ziff. 2 des vorgenannten Testaments getroffenen Bestimmungen zu ändern."
Mit notariell beurkundetem Antrag vom 28.04.2021 beantragte der Bruder des vorverstorbenen Ehemanns der Erblasserin, der Beteiligte zu 4, bei dem Amtsgericht Böblingen als dem zuständigen Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins des Inhaltes, dass die Erblasserin aufgrund des gemeinschaftlichen eigenhändigen Testamentes vom 01.07.1984 beerbt wird von den Beteiligten zu 1, 2 und 3 zu je 1/6 und von ihm zu 1/2. Begründet wird der Antrag damit, dass das gemeinschaftliche eigenhändige Testament vom 01.07.1984 eine bindende Schlusserbeinsetzung enthalte und daher das von der Erblasserin am 25.01.2017 errichtete notarielle Testament unwirksam sei. Es sei unklar, ob die Formulierung im gemeinschaftlichen Testament vom 01.07.1984 von dem Zeugen B. stammte und ob er den Eheleuten gegebenenfalls die Konsequenz der Regelung deutlich gemacht habe. Kein juristischer Laie schließe aus dieser Wortwahl auf die Bedeutung, die ihr ein Jurist möglicherweise zuschreibe. Der einzige Hinweis auf den wahren Willen des Herrn H. sei eine undatierte, von der Erblasserin stammende Botschaft (Bl. 57 d.A.) an den Sohn des Beteiligten zu 4 die diesem von der Beteiligten zu 3 am Tag ihrer Beerdigung übergeben wurde. Darin teilte die Erblasserin dem Sohn des Beteiligten zu 4 mit, dass Herr H. immer gesagt habe, derjenige der "nach uns guckt" solle auch mehr bekommen; nachdem ihre Nichten und Neffen ihr bei allem behilflich gewesen seien, wenn sie diese gebraucht habe, finde sie es auch im Namen des Herrn H. gerecht, dass sie die Äcker an diese verschenkt habe, sie gehe davon aus, dass er der gleichen Meinung sei. Dieses Dokument lasse keinen Zweifel daran zu, dass Herr H. davon ausgegangen sei, dass der Nachlass nach dem Tod seiner Ehefrau je hälftig unter den beiden Familienstämmen aufzuteilen sei.
Die Beteiligten zu 1, 2 und 3 beantragten mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 25.06.2021, den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 4 zurückzuweisen. Sie sind der Auffass...