Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Anforderungen an die Ermittlung der Anschrift des Beklagten vor der Bewilligung der öffentlichen Zustellung.
2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil kommt mangels fehlenden Verschuldens nicht in Betracht, wenn der Beklagte umgezogen und seinen amtlichen Meldepflichten nicht nachgekommen ist in einer Zeit, in der er mit der Zustellung amtlicher Schriftstücke wie einer Klage rechnen musste.
3. Die Frist für den Wiedereinsetzungsantrag für den Einspruch gegen ein Versäumnisurteil beginnt mit der Kenntnis des Versäumnisurteils. Die Kenntnis des Akteninhalts ist nicht unbedingt erforderlich. Wird die Wiedereinsetzungsfrist versäumt, weil in einem Verfahren, in dem Anwaltszwang besteht, der Beklagte ohne Anwalt agiert, ist die Fristversäumung verschuldet, weil er sich über die Möglichkeiten und Anforderungen seines Rechtsbehelfs informieren muss.
Normenkette
ZPO §§ 185, 233, 236
Verfahrensgang
LG Tübingen (Urteil vom 25.03.2010; Aktenzeichen 4 O 395/08) |
Tenor
1. Der Antrag vom 22.4.2010, dem Beklagten Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Berufung gegen das Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des LG Tübingen vom 25.3.2010 - Az. 4 O 395/08 - zu gewähren, wird zurückgewiesen.
2. Die sofortige Beschwerde des Beklagten vom 13.4.2010 gegen die Prozesskostenhilfe ablehnende Entscheidung des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des LG Tübingen im Urt. v. 25.3.2010 - Az. 4 O 395/08 - wird zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Rückzahlung von Geldbeträgen des klagenden Vaters, die der beklagte Sohn betrügerisch erlangt oder veruntreut haben soll.
Durch Versäumnisurteil vom 10.3.2009 verurteilte das LG Tübingen den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 71.449,70 EUR zzgl. Zinsen und Anwaltskosten und setzte eine Einspruchsfrist von zwei Wochen fest. Sowohl die Anspruchsbegründung (zusammen mit der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens) als auch das Versäumnisurteil waren dem Beklagten öffentlich durch Aushang an der Gerichtstafel zugestellt worden, weil Auskünfte der Einwohnermeldeämter am letzten Wohnsitz des Beklagten in Reutlingen und in Rastatt vom Juli bzw. November 2008 keine aktuelle Zustellanschrift ergeben hatten, auch die Mutter des Beklagten seinen Aufenthalt nicht kannte und nach Mitteilungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart (zuletzt vom Oktober 2008) der Beklagte wegen unbekannten Aufenthalts zur Fahndung ausgeschrieben war.
Mit Schreiben vom 23.1.2010, eingegangen am 25.1.2010, meldete sich der Beklagte persönlich von einer neuen Adresse in Bayern und legte Einspruch ein. Hingewiesen auf den Anwaltszwang bei LG ließ der Beklagte durch den Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 11.2.2010, eingegangen bei Gericht am 12.2.2010, erneut Einspruch einlegen und Wiedereinsetzungsantrag stellen mit der Begründung, der Beklagte habe bis 22.1.2010 von dem Rechtsstreit nichts erfahren, obwohl er von Januar 2008 bis April 2009 in Filderstadt gewohnt habe und dort gemeldet gewesen sei. Außerdem beantragte er Akteneinsicht, um inhaltlich vortragen zu können, sowie Prozesskostenhilfe. Mit Schriftsatz vom 10.3.2010 übersandte der Beklagte eine Meldebestätigung der Stadt Filderstadt für den Zeitraum 1.2.2008 bis 1.5.2009 mit dem handschriftlichen Zusatz "Anmeldung wurde am 3.9.2009 erfasst" und "Abmeldung am 1.10.2009" und eine eigene eidesstattliche Versicherung in Kopie, wonach die Anmeldung in Filderstadt zunächst vergessen und am 17.10.2008 nachgeholt worden sei. Mit Schriftsatz vom 19.3.2010 machte der Beklagte geltend, die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung hätten nicht vorgelegen, weil keine ausreichenden und zeitnahen Nachforschungen stattgefunden hätten, so dass die Einspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt worden und der Einspruch rechtzeitig erfolgt sei. Im Übrigen sei er ohne Verschulden gehindert gewesen, früher Einspruch einzulegen, denn die Wiedereinsetzungsfrist beginne nach einer Entscheidung des OLG Nürnberg (OLGReport Nürnberg 2009, 909 f.) erst in dem Moment zu laufen, in dem ihm durch die Akteneinsicht seines Prozessbevollmächtigten der Gegenstand der Klage bekannt geworden sei und er sich habe sachgerecht verteidigen können. Zumindest sei diese Rechtsauffassung vertretbar gewesen und ein etwaiger Rechtsirrtum entschuldigt, so dass ihm selbst im Fall der Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist jedenfalls Wiedereinsetzung in diese zu gewähren sei. Desweiteren stellt der Beklagte dar, warum die eingeklagten Forderungen nicht bestünden bzw. durch Hilfsaufrechnung erloschen seien.
Der Kläger ist den Anträgen des Beklagten entgegengetreten.
Durch Urteil vom 25.3.2010 verwarf das LG Tübingen den Einspruch vom 11.2.2010 als unzulässig und lehnte eine Wiedereinsetzung und Gewährung von Prozesskostenhilfe ab. Zur Begründung führt das LG aus, eine andere Form als die öffentliche Zustel...