Leitsatz (amtlich)
Das für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach §§ 55 StGB, 460 StPO zuständige Gericht hat nicht nur bezüglich aller neu gebildeten Gesamtstrafen, sondern auch im Hinblick auf eine durch die Neuordnung der Gesamtstrafensituation nun isoliert stehende Einzelstrafe im Rahmen einer Prognoseentscheidung über eine etwaige Strafaussetzung zur Bewährung neu zu befinden. Eine ursprünglich gewährte Strafaussetzung lebt insoweit nicht wieder auf.
Verfahrensgang
LG Ravensburg (Entscheidung vom 18.06.2012; Aktenzeichen 7 StVK 229/12) |
StA Ravensburg (Aktenzeichen 14 Js 7258/09) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Ravensburg vom 18. Juni 2012
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer ist durch Urteil des Amtsgerichts R. vom 09. Februar 2010 wegen Unterhaltspflichtverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts T. vom 05. August 2010 ist er ferner wegen Erschleichens von Leistungen, begangen am 18. Februar 2010, zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20,-- € verurteilt worden.
Wegen einer am 08. August 2009 begangenen Beleidigung hat das Amtsgericht
G. den Beschwerdeführer mit Urteil vom 23. August 2010 unter Einbeziehung der vorgenannten Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten und zwei Wochen verurteilt, deren Vollstreckung ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
Am 03. Mai 2010 hat der Beschwerdeführer einen Betrug begangen und ist diesbezüglich zunächst mit Urteil des Amtsgericht M. vom 24. Mai 2011 zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden, wobei die gemäß § 55 StGB notwendige Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts
T. vom 05. August 2010 unterblieben ist. Auf die Berufung des Beschwerdeführers hat das Landgericht H. durch Urteil vom 08. August 2011 das Rechtsmittel verworfen und unter Einbeziehung nicht nur der Strafe aus dem genannten Strafbefehl, sondern unter fälschlicher Auflösung der durch Urteil des Amtsgerichts G. vom 23. August 2010 gebildeten Gesamtstrafe und gleichzeitiger Einbeziehung der Einzelstrafe wegen Beleidigung eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten und zwei Wochen gebildet, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dabei hat es festgestellt, dass die Freiheitsstrafe von vier Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts R. vom 09. Februar 2010 daneben bestehen bleibt.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit 19. März 2012 zur Vollstreckung der letztgenannten Strafe sowie der weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten aus dem Beschluss des Amtsgerichts R. vom 16. März 2009 i.V.m. dem Widerrufsbeschluss des Amtsgerichts T. vom 29. Februar 2012 in Strafhaft. Die gemäß § 462a Abs. 4 Satz 3 Abs. 1 StPO zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ravensburg hat, nach vorheriger Anhörung des Beschwerdeführers, mit Beschluss vom 18. Juni 2012 die Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts R. vom 09. Februar 2010 widerrufen.
Hiergegen hat der Verurteilte rechtzeitig sofortige Beschwerde eingelegt.
II.
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Der angefochtene Widerrufsbeschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Ravensburg ging ins Leere, da eine Strafaussetzung zur Bewährung, die hätte widerrufen werden können, nicht bestand. Die somit gegenstandslose Entscheidung war gleichwohl aufzuheben (KG Berlin StraFo 2012, 202; OLG Düsseldorf Beschluss vom 09.04.2010, 3 Ws 164/10).
Der Gesetzgeber hat mit den §§ 55 StGB, 460 StPO neben dem Wiederaufnahmeverfahren eine Möglichkeit der Durchbrechung materieller Rechtskraft zur Neuordnung der Gesamtstrafensituation geschaffen. Hierdurch sind die Gerichte ermächtigt und ggf. verpflichtet in rechtskräftige frühere Gesamtstrafen einzugreifen. Bindungswirkung kommt insoweit nur den rechtskräftigen Einzelstrafen zu (BGHSt 35, 243; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Strafen, einbezogene 7). Erfolgt auf dieser Grundlage die Neubildung einer Gesamtstrafe unter Einbeziehung rechtskräftiger Einzelstrafen und werden dabei frühere Gesamtstrafen zum Zwecke neuer Gesamtstrafenbildung aufgelöst, so verlieren sie ihre Wirkung und werden gegenstandslos (Graalmann-Scheerer in Löwe/Rosenberg StPO, 26. Auflage, § 460 Rn 38; BGHR a.a.O.). Gleiches gilt auch im Hinblick auf ursprünglich getroffene Entscheidungen über Strafaussetzungen (BGH StraFo 2004, 430; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder StGB, 28. Auflage, § 58 Rn 8; Fischer StGB, 59. Auflage, § 58 Rn 3). Daher hat das nach § 55 StGB bzw. § 460 StPO zuständige Gericht im Rahmen der Bewertung der Gesamtstrafensituation die Frage etwaiger Strafaussetzungen zur Bewährung neu zu e...