Leitsatz (amtlich)

1. Verlangt im selbständigen Beweisverfahren nach bereits erfolgter Beweiserhebung der Antragsgegner eine Begutachtung zu einem Gegenantrag, um das Ergebnis der bisherigen Begutachtung zu erschüttern, ist darüber gem. §§ 485 Abs. 3, 412 ZPO nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden.

2. Gegen die Ablehnung der Einholung eines Sachverständigengutachtens zu einem Gegenantrag nach bereits erfolgter Begutachtung zum Hauptantrag ist ein Rechtsmittel nicht statthaft.

 

Normenkette

ZPO §§ 485, 412, 567

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Beschluss vom 09.08.2010; Aktenzeichen 17 OH 8/09)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des LG Stuttgart vom 9.8.2010 - 17 OH 8/09, wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Gründe

I. Mit Beschluss vom 3.8.2010 hat das LG Stuttgart nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zur Schimmelbildung und deren Ursache in der Wohnung der Antragsteller den Gegenbeweisantrag der Antragsgegnerin abgewiesen, wonach der Sachverständige die Wohnung der Antragsteller mit einer repräsentativen Anzahl vergleichbarer Wohnungen in dem Gebäudekomplex vergleichen und darlegen sollte, wo Divergenzen in der baulichen Ausführung bzw. im Nutzerverhalten vorliegen.

Gegen den am 11.8.2010 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 18.8.2010 sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie ihren Beweisantrag weiterverfolgt. Die Antragsteller sind der sofortigen Beschwerde entgegengetreten.

Mit Beschluss vom 2.9.2010 hat das LG Stuttgart die sofortige Beschwerde dem OLG Stuttgart ohne Abhilfe zur Entscheidung vorgelegt. Mit Beschluss vom 13.9.2010 wurde das Verfahren dem Senat zur Entscheidung übertragen.

II. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht statthaft, weil gegen die Ablehnung der Einholung eines Gutachtens gem. § 412 ZPO auch im selbständigen Beweisverfahren kein Rechtsmittel gegeben ist.

1. Nach Einholung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens zur Behauptung der Antragsteller, dass die Schimmelbildung in der von ihnen erworbenen Wohnung auf Baumängel zurückzuführen ist, hat die Antragsgegnerin eine ergänzende Begutachtung durch den gerichtlich bereits bestellten Sachverständigen beantragt, wonach in anderen, vergleichbaren Wohnungen Schimmel nicht aufgetreten sei und der Sachverständige untersuchen solle, wo Divergenzen in der baulichen Ausführung bzw. im Nutzerverhalten vorliegen. Damit will die Antragsgegnerin versuchen, die Beweiskraft des Hauptbeweises zu derselben Tatsache zu erschüttern. Die Antragsgegnerin hat damit einen Gegenbeweis angetreten (vgl. BGH MDR 1978, 914, juris Rz. 8).

2. Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob im selbständigen Beweisverfahren der Antritt eines Gegenbeweises zulässig ist (vgl. Zöller/Herget, ZPO, 27. Aufl., § 485 Rz. 3; zuletzt OLG Düsseldorf VersR 2010, 1056). Im Beweissicherungsverfahren finden die Rechte des Antragsgegners ihre Grenze in §§ 485 Abs. 3, 412 ZPO (OLGReport Jena 2006, 147, juris Rz. 5). Dies gilt auch dann, wenn der Antragsgegner zu einem Beweisthema, zu dem bereits ein gerichtliches Sachverständigengutachten eingeholt wurde, einen Gegenantrag stellt und dazu eine ergänzende Beweisaufnahme beantragt (vgl. OLGReport Hamburg 2003, 235, juris Rz. 6).

Wenn im selbständigen Beweisverfahren nach bereits erfolgter Gutachtenerstattung eine Begutachtung zu Gegenanträgen verlangt und damit zum Ausdruck gebracht wird, dass die bisherige Begutachtung nicht überzeugend sei oder von falschen tatsächlichen Voraussetzungen ausgehe, wird eine ergänzende Begutachtung verlangt, die nur unter den Voraussetzungen der §§ 485 Abs. 3, 412 ZPO zulässig ist. Dabei räumt § 412 Abs. 1 ZPO dem Gericht ein Ermessen ein ("kann").

3. Gegen die Ablehnung der Einholung eines weiteren Gutachtens gem. § 412 ZPO ist im selbständigen Beweisverfahren kein Rechtsmittel gegeben (BGH BauR 2010, 932, juris Rz. 5 ff.).

Hinsichtlich der Frage, ob die Einholung eines weiteren Gutachtens geboten ist, ist dem Tatrichter ein Ermessensspielraum eingeräumt, bei dessen Ausübung er die Grundsätze der freien Beweiswürdigung, die sachfremde Erwägungen verbieten, zu beachten hat. Die Entscheidung darüber, ob ein weiteres Gutachten einzuholen ist, erfordert mithin eine Würdigung der bisher erhobenen Beweise. Eine Beweiswürdigung findet im selbständigen Beweisverfahren indessen nicht statt. Ist dem Gericht im selbständigen Beweisverfahren eine Prüfung der Frage der Erforderlichkeit eines neuen Gutachtens verwehrt, ist die Ablehnung eines darauf gerichteten Antrags auch der Überprüfung im Beschwerdeverfahren entzogen (BGH, a.a.O., juris Rz. 8). Da im Gesetz weder ausdrücklich bestimmt ist, dass gegen die im selbständigen Beweisverfahren ergangene Entscheidung, kein weiteres Gutachten gem. § 412 ZPO einzuholen, die sofortige Beschwerde statthaft ist, noch es sich um einen von § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO erfassten Fall handelt und die Beweismöglichkeiten im selbständigen Beweisverfahren gr...

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