Verfahrensgang
LG Stuttgart (Entscheidung vom 29.05.2015; Aktenzeichen 16 KLs 24 Js 65372/14) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird die Verfügung des Vorsitzenden der 16. Große Strafkammer des Landgerichts Stuttgart vom 29. Mai 2015
aufgehoben.
Dem Angeklagten wird für die Revisionsinstanz Rechtsanwältin xxx, zur Pflichtverteidigerin
bestellt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Beschwerdeverfahren trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart legte dem Angeklagten mit Anklageschrift vom 8. Oktober 2014 zwei tatmehrheitliche Verbrechen der Vergewaltigung jeweils in Tateinheit mit Körperverletzung zur Last. Anlässlich der Vorführung vor die Haftrichterin war dem Angeklagten am 2. Juli 2014 Rechtsanwalt , , als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Dieser war bei der Verhandlung vor die Haftrichterin anwesend. Dort hatte der Angeklagte noch erklärt, er möchte von Rechtsanwalt verteidigt werden.
Rechtsanwältin teilte mit Schriftsatz vom 25. November 2014 der Strafkammer beim Landgericht Stuttgart mit, der Angeklagte habe sie mit seiner Verteidigung beauftragt, und reichte eine Kopie einer Vollmacht vom 6. Oktober 2014 zur Akte. Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2014 teilte sie mit, dass sie das Mandat als Wahlmandat führen werde, und bat darum, den Pflichtverteidiger nach § 143 StPO zu entlassen. Die Verteidigung sei aufgrund einer Forderungsabtretung gesichert.
Mit Verfügung vom 16. Dezember 2014 hob der Vorsitzende die Bestellung von Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger auf. Hiergegen richtete sich eine mit Schriftsatz vom 5. Januar 2015 erhobene Beschwerde, die Rechtsanwalt unterzeichnet hatte und die er mit Schreiben vom 23. Januar 2015 gegenüber dem Senat wieder zurücknahm. Die Beschwerde war von Rechtsanwalt nicht im Namen und Auftrag des Angeklagten eingelegt worden.
Am 23. Februar 2015 verurteilte das Landgericht den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Hiergegen legte der Angeklagte rechtzeitig Revision ein.
Mit Schriftsatz vom 9. Mai 2015 beantragte die Wahlverteidigerin, sie dem Angeklagten für die Revisionsinstanz zur Pflichtverteidigerin zu bestellen. Für diesen Fall lege sie das Wahlmandat nieder. Die finanziellen Möglichkeiten des Angeklagten seien erschöpft. Ohne Verteidiger könne er eine Revision nicht sachgerecht begründen.
Der Strafkammervorsitzende teilte darauf der Wahlverteidigerin und Rechtsanwalt mit, dass die Kammer erwäge, die am 16. Dezember 2014 aufgehobene Bestellung des bisherigen Pflichtverteidigers zu reaktivieren. Rechtsanwalt antwortete mit Schreiben vom 28. Mai 2015, er sei gerne bereit, das Pflichtverteidigungsmandat wieder zu übernehmen. Rechtsanwältin trat der Überlegung des Vorsitzenden entgegen und teilte mit Schreiben vom 22. Mai 2015 mit, dass der Angeklagte kein Vertrauen zu Rechtsanwalt mehr habe. Er halte zudem Rechtsanwältin für die Revision für die kompetentere Verteidigerin. Die Revisionsbegründungsfrist sei bereits zur Hälfte abgelaufen. Entscheidend sei, dass Rechtsanwalt zuletzt gegen den erklärten Willen des Angeklagten Beschwerde gegen seine Entpflichtung eingelegt und dabei Rechtsanwältin mit einer Behauptung ins Blaue hinein diffamiert habe. Damit sei das Vertrauen des Angeklagten in Rechtsanwalt , der offensichtlich nur seine eigenen Interessen verfolge, zerstört. Der Fall eines "kalten" Wechsels einer Pflichtverteidigung liege nicht vor. Sie habe bereits mit der Arbeit an der Revision begonnen. Für den Fall der Bestellung von Rechtsanwalt sei sie weiterhin als Wahlverteidigerin tätig, so dass Rechtsanwalt unverzüglich wieder zu entpflichten wäre.
Mit der angefochtenen Verfügung vom 29. Mai 2015 lehnte der Strafkammervorsitzende es ab, dem Angeklagten Rechtsanwältin zur Pflichtverteidigerin zu bestellen. Er sah sich gehindert, Rechtsanwalt erneut zum Pflichtverteidiger zu bestellen, da Rechtsanwältin angekündigt habe, im Falle der Bestellung von Rechtsanwalt ihr Wahlmandat aufrecht zu erhalten, so dass die Bestellung von Rechtsanwalt sofort gemäß § 143 StPO wieder aufzuheben wäre.
II.
Die Beschwerde hat unter den hier maßgeblichen Besonderheiten des Einzelfalles Erfolg.
1.
Es handelt sich um einen Fall notwendiger Verteidigung nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO. Dem Angeklagten wäre somit ein Pflichtverteidiger zu bestellen gewesen, was zunächst auch geschehen ist. Die Pflichtverteidigerbestellung wäre für das gesamte Verfahren - einschließlich der Revisionsbegründung - wirksam gewesen. Der Grund für die Entpflichtung des (ersten) Pflichtverteidigers lag ausschließlich im Tätigwerden der Wahlverteidigerin. Aus der Tatsache, dass ein Angeklagter zunächst eine Wahlverteidigerin hat, die berechtigt ist, das Mandant jederzeit niederzulegen, darf einem Angeklagten kein Nachteil erwachsen. Er darf dadurch nicht schlechter gestellt sein als ein Angeklagter, für den ein Pflichtverteidiger bestellt ist, de...