Leitsatz (amtlich)
1. Zur Schätzung des Verkehrswertes des Aktieneigentums in Spruchverfahren - Anschluss an OLG Stuttgart, Beschl. v. 5.6.2013 - 20 W 6/10.
2. Ergibt sich aus einem gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten, dass die Planung des Vorstands nicht auf zutreffenden Informationen und daran orientierten, realistischen Annahmen beruht oder nicht in sich widerspruchsfrei ist und deshalb Plananpassungen erforderlich sind, kann das Gericht im Rahmen der Prüfung, ob der Abfindungsbetrag angemessen ist, bei der Schätzung des Unternehmenswertes sowohl Abweichungen von der Planung des Vorstands zugunsten als auch Abweichungen zu Ungunsten der Antragsteller berücksichtigen. Unzulässig wäre es nur, die Abfindungshöhe zu Lasten der Antragsteller nach unten zu korrigieren.
3. Die Antragsteller haben keinen Anspruch darauf, dass zur Berechnung ihres Ausgleichs von ihnen für nachteilig gehaltene, nicht bewertungsanlassbezogene unternehmerische Entscheidungen fiktiv korrigiert werden, um zu einem höheren Ausgleich zu gelangen.
4. Bei der Betrachtung des Börsenkurses ist der nach Umsatz gewichtete Durchschnittskurs innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Bekanntmachung der Strukturmaßnahme maßgeblich, wobei es darauf ankommt, wann die Ankündigung der Strukturmaßnahme und damit die Veränderung der Markterwartung tatsächlich erfolgte, nicht wann sie hätte erfolgen müssen.
Normenkette
AktG § 327a Abs. 1, § 327f
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 30.04.2012; Aktenzeichen 31 O 178/08 KfH AktG) |
Tenor
1. Die sofortigen Beschwerden der Antragstellerin Ziff. 18 und des gemeinsamen Vertreters gegen den Beschluss des LG Stuttgart vom 30.4.2012 - 31 O 178/08 KfH AktG, werden als unzulässig verworfen.
2. Die weiteren sofortigen Beschwerden gegen den Beschluss des LG Stuttgart vom 30.4.2012 - 31 O 178/08 KfH AktG, werden zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens; die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 200.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Gegenstand dieses Spruchverfahrens ist die gerichtliche Festsetzung einer angemessenen Barabfindung wegen des Ausscheidens der Antragsteller aus der X E. AG in Folge der Übertragung ihrer Aktien an die Antragsgegnerin als Hauptaktionärin (sog. Squeeze-out).
I.1. Die Antragsteller waren Minderheitsaktionäre der X E. AG.
Die X E. AG und die Antragsgegnerin sind integrierte Papier- und Zellstofffabriken und Werke der X ... Eu.-Gruppe, die wiederum zu der weltweit agierenden X-Gruppe gehört.
Am 23.3.1990 wurde zwischen der X E. AG (damals firmierend als S. Z AG) und der Antragsgegnerin als herrschendem Unternehmen (damals firmierend als H. P. A AG) ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen. Als Ausgleichsbetrag wurde durch das OLG Stuttgart (NZG 2000, 744) insoweit nach Umrechnung ein Betrag von ca. 0,177 EUR je 1-Euro-Stückaktie festgesetzt, als Abfindung 183 DM je 50 DM-Stückaktie.
Die Antragsgegnerin hielt von den 20.800.000 Stückaktien mit einem rechnerischen Anteil am Grundkapital von je 1 EUR 19.946.375 Aktien, also ca. 95,9 %. Auf die Minderheitsaktionäre entfielen 853.625 Aktien.
2. Die Antragsgegnerin beabsichtigte Ende 2002, die Minderheitsanteile an der X E. AG zu übernehmen. Zu diesem Zweck wurde am 10.3.2003 ein Übertragungsbericht fertiggestellt, in dem ein von der Y GmbH (Y) erstelltes Bewertungsgutachen wiedergegeben wird. Y kommt in diesem Gutachten auf Grundlage der Ertragswertermittlung zu einem anteiligen Unternehmenswert von 5,61 EUR je Aktie. Dieser Betrag wird in dem Übertragungsbericht als Abfindungsbetrag angegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf den Übertragungsbericht sowie das darin wiedergegebene Bewertungsgutachten verwiesen (Anlage 2 zu Band 1, Bl. 49, i. F. ÜB).
Die durch Beschluss des LG Stuttgart vom 14.1.2003 als sachverständige Prüferin bestellte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Z AG (sachverständige Prüferin) bestätigte in ihrem Prüfbericht vom 13.3.2003 die Angemessenheit der auf 5,61 EUR festgelegten Barabfindung. Wegen der Einzelheiten wird auf den Prüfbericht (Teil 3 nach dem Übertragungsbericht, Anlage 2 zu Band 1, Bl. 49) verwiesen.
In einer Ad-hoc-Mitteilung vom 21.3.2003 vermeldete die X E. AG den beabsichtigten Ausschluss der Minderheitsaktionäre gegen eine Barabfindung von 5,61 EUR je Aktie.
Die Hauptversammlung der X E. AG beschloss den Ausschluss am 9.5.2003 gegen Barabfindung von 5,61 EUR je Aktie. Der Beschluss wurde am 1.7.2003 im Handelsregister eingetragen und am 17.7.2003 in der Schwäbischen Zeitung sowie am 21.8.2003 im Bundesanzeiger bekannt gemacht.
II. Die Antragsteller begehren im Spruchverfahren die Festsetzung einer über 5,61 EUR je Aktie hinausgehenden Barabfindung
Das LG hat mit Beschluss vom 29.10.2003 (Bl. 318) Rechtsanwalt Dr. M. S. zum Vertreter der außenstehenden Aktionäre bestellt. Der gemeinsame Vertreter der nicht antragstellenden Aktionäre beantrag...