Gründe

›... Das Gericht trifft gem. § 1671 Abs. 1 und 2 BGB zur elterlichen Sorge nach Scheidung der Ehe der Eltern diejenige Regelung, die dem Wohle des Kindes am besten entspricht, und berücksichtigt hierbei die Bindung des Kindes an Eltern und Geschwister, Das Kindeswohl erfordert regelmäßig die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Elternteil, bei dem das Kind Ä insgesamt gesehen unter Berücksichtigung des Erfordernisses einer möglichst kontinuierlichen Erziehung Ä voraussichtlich die bessere Förderung erfahren wird. Doch kann eine gesundheitliche Gefährdung des Kindes bei einem Elternteil gerade unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls eine vom Förderungsgrundsatz, dem Kontinuitätsprinzip und von den Bindungen des Kindes abweichende Entscheidung erforderlich machen. ...‹

Zu der im Streitfall vorliegenden HIV-Infektion der Mutter und ihres Partners haben die Sachverständigen im Prozeß ausgeführt, eine Infizierung der Kinder beim Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft mit Mutter und Partner sei angesichts der Tatsache, daß beide über ihre Infektion informiert sind, sowie angesichts des Alters der Kinder äußerst unwahrscheinlich.

›Die von der Beschwerde gegen das Gutachten erhobenen Bedenken greifen nicht durch. Zur Beurteilung stand nicht die allgemein wissenschaftlich Ä wegen der Abhängigkeit von den Sonderumständen jedes Falles Ä möglicherweise so nicht zu beantwortende Frage, auf welchem Wege das HIV nicht übertragen wird, sondern die Frage der Ansteckungsgefahr unter Verhältnissen, wie sie hier bei der Mutter vorliegen. Die von den Sachverständigen Ä deren Kompetenz und Sachkunde keinerlei Zweifel unterliegt Ä gewählte statistische Methode ist nicht zu beanstanden, eine geeignetere auch nicht ersichtlich. Daß die der Abschätzung der Ansteckungsgefahr zugrunde liegenden Untersuchungsreihen nicht besonders umfangreich sind, wird durch die Verwertung zusätzlicher Angaben über die Art der Kontakte des jeweiligen Infizierten mit den übrigen Haushaltsangehörigen und die Eindeutigkeit der Ergebnisse ausgeglichen, die hinsichtlich der negativen Aussagen über familiäre Infizierungsmöglichkeiten mit den allgemeinen Erkenntnissen hierüber (vgl. Laufs-Laufs, NJW 1987, 2260) in Einklang stehen.‹

Das Ergebnis des Gutachtens, eine Infizierung der Kinder durch das Zusammenleben mit der Mutter und ihrem Partner sei extrem unwahrscheinlich, werde insbesondere auch durch die weitere Mitteilung der Sachverständigen gestützt, HIV-Infektionen von Kindern durch ihre Eltern jenseits des Säuglingsalters seien noch nie beobachtet worden.

›Von einer im Verhältnis zu den sonstigen, stets gegebenen Lebensrisiken ins Gewicht fallenden Wahrscheinlichkeit der Ansteckung der Kinder durch die persönlich betreuende Mutter oder durch ihren Partner kann hiernach jetzt nicht mehr ausgegangen werden. Von der Mutter kann nach ihrem Gesamtverhalten, wie es sich im Laufe des Verfahrens ergeben hat, das wegen ihrer HIV-Trägerschaft notwendige Verantwortungsbewußtsein bei der persönlichen Betreuung der Kinder erwartet werden. Bei Abwägung aller Umstände (einschließlich der naheliegenden Gefahr einer späteren Erkrankung der Mutter infolge ihrer HIV-Infektion, die ihr, wenn die Kinder älter sind, die Ausübung der elterlichen Sorge unmöglich machen kann) entspricht die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter dem Wohl der Kinder heute deutlich besser als die von der Beschwerde erstrebte Lösung.‹

Zu der insoweit erstrebten Übertragung auf einen Vormund oder Pfleger (§ 1671 Abs. 5 BGB) fehle jedenfalls derzeit ein genügender Anlaß.

 

Fundstellen

NJW 1988, 2620

DRsp I(167)362c

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