Leitsatz (amtlich)
1. Ein ausländisches Straferkenntnis, mit dem gegen den Verurteilten deutscher Staatsangehörigkeit eine Freiheitsstrafe verhängt wurde, kann auch dann in Deutschland für vollstreckbar erklärt werden, wenn der Lebenssachverhalt, der dem Urteil zugrundelag, in Deutschland lediglich Ordnungswidrigkeitentatbestände erfüllt.
2. Liegt der Verurteilung ein grober Verstoß gegen die Verkehrsregeln zugrunde, der "in skrupelloser Weise" verursacht wurde, verstößt die Vollstreckbarerklärung hinsichtlich des nicht zur Bewährung ausgesetzten Teils von 12 Monaten Freiheitsstrafe auch nicht wegen der Härte der Rechtsfolge gegen § 73 IRG. Dies mag möglicherweise als hart angesehen werden; die Freiheitsstrafe von 12 Monaten ist aber insoweit nicht als "unerträglich oder in keiner Weise vertretbar" zu beurteilen.
3. Da es für die Frage der beiderseitigen Sanktionierbarkeit auf den Zeitpunkt der Exequaturentscheidung ankommt, wäre die Tat im Übrigen auch nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB in der Fassung vom 30.9.2017 strafbar.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Entscheidung vom 15.03.2018) |
Tenor
- Der Beschluss des Landgerichts Stuttgart - Strafvollstreckungskammer - vom 15. März 2018 wird auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stuttgart aufgehoben.
- Die Vollstreckung aus dem Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Tessin vom 20. Februar 2017 - Az. 72.2015.70 - wird für zulässig erklärt, soweit der Verurteilte darin zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt wurde.
- Das Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Tessin vom 20. Februar 2017 - Az. 72.2015.70 - wird für vollstreckbar erklärt, soweit der Verurteilte darin zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt wurde.
- Im Übrigen ist das Ersuchen des Schweizerischen Bundesamts für Justiz auf Übernahme der Strafvollstreckung nicht zulässig.
- Entsprechend dem unter 2. und 3. für zulässig und vollstreckbar erklärten Teil des Urteils des Geschworenengerichts des Kantons Tessin vom 20. Februar 2017 - Az. 72.2015.70 - wird gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe von einem Jahr festgesetzt.
- Es wird angeordnet, dass auf diese Freiheitsstrafe die in der Schweiz bereits vollstreckte Untersuchungshaft anzurechnen ist.
Gründe
I.
Mit Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Tessin vom 20. Februar 2017, rechtskräftig seit dem 21. März 2017, wurde der Verurteilte wegen Gefährdung des Lebens und wiederholter grober qualifizierter Verletzung der Verkehrsregeln nach Art. 129 schweizerisches StGB und Art. 90 Abs. 2, 3 und 4 schweizerisches SVG zu der Freiheitsstrafe von dreißig Monaten unter Abzug der erlittenen Untersuchungshaft verurteilt. Hiervon wurde ein "bedingter Strafvollzug von 18 Monaten in einer Probezeit von drei Jahren gewährt"; der Rest der Strafe ist zu verbüßen. Das Urteil ist in Abwesenheit des Beschwerdeführers ergangen.
Dem Urteil lag ausweislich der Gründe folgender Sachverhalt zugrunde:
Am 14. Juli 2014 fuhr der Verurteilte auf schweizerischem Staatsgebiet auf der Autobahn A2 zwischen Göschenen und Monteceneri mit seinem Fahrzeug BMW Z4, amtliches Kennzeichen ... . Dort brachte er das Leben mehrerer Fahrer in Gefahr, indem er a) im Gotthard-Tunnel bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 135 km/h fuhr, die erlaubte Höchstgeschwindigkeit wiederholt und mit außerordentlicher Geschwindigkeit von 140 km/h überschritt und dabei zehn Überholmanöver durchführte und b) im Piottino-Tunnel auf einer Strecke mit nur einer durch Leitbaken getrennten Fahrspur fünf Überholmanöver durchführte und dabei sowohl den frontalen Zusammenstoß mit entgegenkommenden Fahrzeugen als auch den seitlichen mit den von ihm überholten Fahrzeugen riskierte. Die Autobahnstrecke legte er mit einer oft höheren Geschwindigkeit als 200 km/h zurück. Im Hinblick auf diese Taten wurde bedingter Vorsatz des Verurteilten festgestellt; die Gefahr für das Leben anderer Verkehrsteilnehmer habe er in skrupelloser Weise verursacht. Am 12. Juli 2014 fuhr der Verurteilte zwischen Hinterrhein und San Bernardino mit einer Geschwindigkeit von 147 km/h anstelle der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h. Am selben Tag fuhr er in Härkingen längs der Autobahn A1 zwischen Freiburg und Bern mit einer Geschwindigkeit von 144 km/h anstatt der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h und in Hergiswil längs der Autobahn A2 in Richtung Luzern mit einer Geschwindigkeit von 134 km/h anstelle der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h.
Mit Schreiben vom 16. Juni 2017 ersucht das Schweizerische Bundesamt für Justiz um Übernahme der Vollstreckung des Urteils.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat mit Schreiben vom 20. November 2017 an das Landgericht Stuttgart beantragt, die Vollstreckung aus dem Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Tessin vom 20. Februar 2017 - 72.2015.70 -, rechtskräftig "seit 20. Februar 2017", insoweit für zulässig und das ausländische Erkenntnis in der Bundesrepublik Deutschland für vollstreckb...