Leitsatz (amtlich)
Die spätere Beschränkung einer zunächst unbeschränkt eingelegten Berufung ist eine Teilrücknahme im Sinne des § 302 Abs. 1 StPO; der Verteidiger benötigt hierfür - auch während des Laufs der Berufungsbegründungsfrist - eine ausdrückliche Ermächtigung im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO.
Normenkette
StPO § 302 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Heilbronn (Entscheidung vom 28.04.2010; Aktenzeichen 4 Ns 14 Js 24617/08) |
AG Heilbronn (Entscheidung vom 25.01.2010; Aktenzeichen 42 Ds 14 Js 24617/08) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Heilbronn vom 28. April 2010 mit den zugrundeliegenden Feststellungen
a u f g e h o b e n .
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Heilbronn
z u r ü c k v e r w i e s e n.
Gründe
I. Der Angeklagte wurde mit Urteil des Amtsgerichts Heilbronn vom 25. Januar 2010 der Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung schuldig gesprochen und hierwegen zu der Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Strafaussetzung wurde versagt. Gegen dieses Urteil hat der Wahlverteidiger des Angeklagten am 29. Januar 2010 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 02. März 2010, bei dem Landgericht eingegangen am 04. März 2010, beschränkte er die Berufung namens des Angeklagten auf das Strafmaß. In der Folge wurde ein Antrag des Verteidigers auf Bestellung abgelehnt. In der Berufungshauptverhandlung am 28. April 2010 erschien der Angeklagte ohne Verteidiger.
Das Landgericht hielt die Beschränkung des Rechtsmittels für wirksam und verwarf es als unbegründet.
Mit seiner Revision, die er zu Protokoll der Geschäftsstelle begründet hat, erhebt der Angeklagte die Sachrüge und wendet sich dagegen, dass nur "Teilberufung" eingelegt worden sei, obwohl dies nicht seinem Willen entsprochen habe. Bereits mit einem Schreiben vom 3. Mai 2010 hatte er vorgebracht, dass der Verteidiger die Beschränkung der Berufung "über seinen Kopf hinweg" erklärt habe.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
II. Die zulässige Revision ist begründet (§ 349 Abs. 4 StPO).
Auf die zulässig erhobene Sachrüge hat der Senat von Amts wegen zu prüfen, ob das Berufungsgericht über alle Bestandteile des ersten Urteils entschieden hat, die von der Berufung erfasst wurden. Vorliegend hat die Kammer zu Unrecht eine wirksame Berufungsbeschränkung auf den Strafausspruch angenommen. Es fehlt für die Wirksamkeit der nachträglichen Berufungsbeschränkung an der ausdrücklichen Ermächtigung des Verteidigers im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO.
1. Ob und wann in der späteren Beschränkung eines zunächst unbeschränkt eingelegten Rechtsmittels eine Teilrücknahme im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO zu sehen ist, wird unterschiedlich beantwortet.
(1) Der Bundesgerichtshof judiziert für das Rechtsmittel der Revision seit 1991 in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung, dass nach unbeschränkter Revisionseinlegung die Beschränkung des Rechtsmittels im Rahmen der Revisionsbegründung nach § 344 StPO keine Teilrücknahme sei. Vielmehr werde damit lediglich der Umfang der Anfechtung konkretisiert und erstmalig der Wille bekundet, inwieweit eine Anfechtung des Urteils erfolgen solle (BGHSt 38, 7; BGH NStZ 1992, 126). Ein Teil der Literatur folgert hieraus verallgemeinernd, dass in der späteren Beschränkung eines zunächst unbeschränkt eingelegten Rechtsmittels grundsätzlich keine Teilrücknahme, sondern eine Konkretisierung des Umfanges desselben zu sehen sei (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 302 RN 29; KK-Paul, StPO, 6. Aufl., § 302 RN 20a; offen gelassen von OLG Frankfurt a. M. NStZ-RR 1997, 45), ohne nach Art des Rechtsmittels zu differenzieren.
(2) Auf den Bereich der Berufung übertragen Teile der Literatur und der obergerichtlichen Rechtsprechung diese Judikatur des Bundesgerichtshofes dergestalt, dass an die Stelle der Revisionsbegründungsfrist die der Berufungsbegründungsfrist nach § 317 StPO tritt, so dass nur Beschränkungen, die nach Ablauf dieser Frist erklärt werden, als Teilrücknahme im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO zu betrachten seien, die einer besonderen Ermächtigung bedürften (OLG Koblenz NStZ-RR 2001, 247; KK-Paul, § 318 RN 3; Graf, StPO, § 318 RN 6; KMR, StPO, § 318 RN 7).
(3) Der Senat ist der Auffassung, dass die spätere Beschränkung einer zunächst unbeschränkt eingelegten Berufung eine Teilrücknahme im Sinne des § 302 Abs. 1 StPO ist; der Verteidiger benötigt hierfür - auch während des Laufs der Berufungsbegründungsfrist - eine ausdrückliche Ermächtigung im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO.
(a) Das Erfordernis der ausdrücklichen Ermächtigung trägt dem Gewicht der Erklärung Rechnung und bezweckt ebenso Rechtsklarheit wie den Schutz des Angeklagten vor den Folgen einer etwa unerwünschten Rücknahme. Dieser die Auslegung und Anwendung der Vorschrift tragende Grundgedanke trifft nicht nur auf die Rücknahme überhaupt, sondern auch auf die Teilrücknahme zu (SK-Frisch, StPO,...