Entscheidungsstichwort (Thema)

Musterverfahren Sperrwirkung Rechtspflege und Gerichtsverfahrensrecht Wirtschaftsrecht Sperrwirkung für zweites Musterverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Frage nach der Gerichtszuständigkeit gem. § 32b ZPO kann ein zulässiges Feststellungsziel im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 KapMuG sein.

2. Ist ein Musterverfahren zur Feststellung anspruchsbegründender oder -ausschließender Voraussetzungen von Schadensersatzansprüchen wegen fehlerhafter oder unterlassener Ad-hoc-Mitteilungen oder hierauf bezogener Rechtsfragen anhängig, so ist die Einleitung eines weiteren Musterverfahrens zur Klärung der örtlichen Zuständigkeit nach § 32b ZPO für die entsprechenden Ausgangsverfahren, deren Entscheidung in sachlicher Hinsicht von der Entscheidung über die Feststellungsziele des ersten Musterverfahrens nach § 8 Abs. 1 KapMuG abhängt, gem. § 7 Satz 1 KapMuG unzulässig.

 

Normenkette

KapMuG § 2 Abs. 1 S. 1, §§ 7-8; ZPO § 32b

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Beschluss vom 06.12.2017; Aktenzeichen 22 AR 2/17)

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das mit Vorlagebeschluss des Landgerichts Stuttgart vom 6.12.2017 (22 AR 2/17 Kap (a)) vorgelegte Musterverfahren unzulässig ist.

2. Die Bestimmung eines Musterklägers gem. § 9 Abs. 2 KapMuG wird abgelehnt.

3. Die Rechtsbeschwerde wird in Bezug auf Ziff. 1. und 2. zugelassen.

4. Die Anträge des Klägers des vom Landgericht Stuttgart unter Az. 14 O 157/17 ausgesetzten Rechtsstreits

a) auf Durchführung eines Musterverfahrens i.S.d. §§ 9 ff. KapMuG aufgrund des Vorlagebeschlusses des LG Stuttgart vom 6.12.2017 sowie hilfsweise hierzu auf Feststellung, dass das vorliegende Verfahren ein Musterverfahren i.S.d. §§ 9 ff. KapMuG sei,

b) auf Entscheidung über die Frage der Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit hinsichtlich des Vorlagebeschlusses des Landgerichts Stuttgart vom 6.12.2017 gemäß § 7 KapMuG mittels Musterentscheid i. S.d. § 16 KapMuG,

werden zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Mit Vorlagebeschluss vom 6.12.2017 (Az. 22 AR 2/17 Kap; im Folgenden: VB) hat das Landgericht Stuttgart dem Senat zwei Musterverfahren vorgelegt. Dem vorliegenden Musterverfahren liegt das vom Landgericht mit "22 AR 2/17 Kap (a)" bezeichnete Vorlageverfahren zugrunde (vgl. VB Rn. 189, 191, 228).

Die Kläger der insoweit vor dem Landgericht Stuttgart geführten Ausgangsverfahren machen gegen die Musterbeklagten Schadensersatzansprüche wegen Spekulationsverlusten geltend, die sie angeblich aufgrund von Transaktionen mit Vorzugsaktien der Musterbeklagten zu 2 erlitten haben. Insbesondere machen sie geltend, dass die Musterbeklagte zu 2 erforderliche Ad-hoc-Mitteilungen unterlassen habe, weshalb auch die Musterbeklagte zu 1 gem. § 37b WpHG in der bis zum 9.7.2015 gültigen Fassung hafte. Zudem machen sie Ansprüche wegen fehlerhafter Finanzberichterstattung in Jahresfinanzberichten bzw. Halbjahresfinanzberichten ab 31.7.2014 sowie wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung geltend (vgl. VB Rn. 76 ff).

1. Die als Aktiengesellschaft börsennotierte Musterbeklagte zu 1 ist ein großer Automobilhersteller mit Sitz in Wolfsburg.

Die Musterbeklagte zu 2 wurde im Juni 2007 in eine Aktiengesellschaft europäischen Rechts umgewandelt. Ihr operatives Geschäft gliederte sie aus, weshalb es sich nunmehr um eine reine Holdinggesellschaft handelt. Sie ist mit rund 52 % der Stimmrechte an der Musterbeklagten zu 1 beteiligt. Die Beteiligung an der Musterbeklagten zu 1 stellt das einzig substantielle Investment der Musterbeklagten zu 2 dar.

Im August 2009 schlossen die Musterbeklagte zu 1 und die Musterbeklagte zu 2 eine sog. Grundlagenvereinbarung zur Schaffung eines integrierten Automobilkonzerns mit der Porsche AG. Mit Wirkung vom 25.11.2009 traten der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Musterbeklagten zu 1, Herr X, und der Finanzvorstand der Musterbeklagten zu 1, Herr Y, mit ihren bisherigen Funktionen in den Vorstand der Musterbeklagten zu 2 ein, wo sie dieselben Geschäftsbereiche wie bei der Musterbeklagten zu 1 übernahmen.

2. Die Musterbeklagte zu 1 stellte im Jahr 2007 unter der Bezeichnung EA 189 eine neue Baureihe von Dieselmotoren vor, die ab dem Jahr 2008 in Serie gebaut und auch in den USA vermarktet wurde. Diese Motorentypen, die in etwa 11 Mio Fahrzeugen verbaut wurden, waren - so die Darstellung VB Rn. 9 - mit Hilfe einer Abschalteinrichtung ("Defeat Device") dergestalt manipuliert worden, dass sie vortäuschten, die emissionsrechtlichen Normen einzuhalten. Dies hatte zur Folge, dass die Motoren die vorgeschriebenen Emissionsgrenzwerte zwar auf dem Prüfstand, nicht aber im Normalbetrieb auf der Straße einhielten. Ab Mai 2014 wurde dies zunächst in den USA bei Untersuchungen solcher Fahrzeuge durch einschlägige Institutionen und sich anschließende Ermittlungen der Umweltbehörden EPA und CARB aufgedeckt, später durch eigene Überprüfungen der Musterbeklagten zu 1 bestätigt. Am 3.9.2015 räumte die Musterbeklagte zu 1 gegenüber der EPA und der CARB den Einbau der Abschalteinrichtung ("Defeat Device") ein. Auf die Darstellung VB Rn. 9 ff...

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