Verfahrensgang
AG Stuttgart (Entscheidung vom 09.06.2021; Aktenzeichen 18 OWi 243 Js 37200/21) |
Tenor
Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 9. Juni 2021 wird als unbegründet
verworfen.
Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 9. Juni 2021 hat das Amtsgericht Stuttgart den Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit des Aufenthalts außerhalb der Wohnung ohne triftigen Grund in der Zeit von 20 Uhr bis 5 Uhr zu einer Geldbuße von 75 € verurteilt, wobei die Verurteilung auf § 73 Abs. 1a Nr. 24 i. V. m. §§ 32, 28 Abs. 1 Satz 1, § 28a InfSG, § 19 Nr. 2 i. V. m. § 1c Abs. 1, Abs. 2 der Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 vom 30. November 2020 in der Fassung vom 18. Januar 2021 (Corona-Verordnung - CoronaVO) gestützt wurde.
Das Amtsgericht hat unter II. seines Urteils folgenden Sachverhalt festgestellt:
Der Betroffene befuhr am 21.01.2021 um 0:40 Uhr in Stuttgart die ..., beim dortigen Lidl. Einen triftigen Grund zum Aufenthalt außerhalb der Wohnung hatte er nicht.
Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Amtsgericht unter III. seines Urteils dargelegt, der Betroffene habe in der Hauptverhandlung wie auch bereits bei seiner Kontrolle durch die Polizei angegeben, dass er einen triftigen Grund zum Aufenthalt außerhalb der Wohnung gehabt habe, dass er diesen jedoch nicht habe benennen wollen. Das Amtsgericht vermochte nach Durchführung der Beweisaufnahme durch Vernehmung des kontrollierenden Polizeibeamten keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines triftigen Grundes zu erkennen. Das Amtsgericht führte hierzu aus, dass im Rahmen der Beweiswürdigung nicht geboten sei, jeder theoretisch denkbaren Möglichkeit des Vorliegens eines triftigen Grundes nachzugehen, wenn hierfür keinerlei konkrete Anhaltspunkte bestünden.
Mit Schreiben seines Verteidigers vom 10. Juni 2021, welches am selben Tage beim Amtsgericht einging, hat der Betroffene gegen das Urteil Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zum Zwecke der Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts gestellt. Der Betroffene sieht den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit und die Unschuldsvermutung verletzt. Es sei durch Gesetzesauslegung zu klären, ob das Fehlen eines triftigen Grundes Teil des Tatbestandes von § 1c Abs. 2 CoronaVO sei oder ob das Vorliegen eines solchen Grundes lediglich auf der Ebene der Rechtfertigungsgründe maßgeblich sei, wobei der Betroffene ersteres für vorzugswürdig erachtet. Der Betroffene beantragt das Urteil des Amtsgerichts vom 9. Juni 2021 nach erfolgter Zulassung der Rechtsbeschwerde aufzuheben und ihn freizusprechen.
Auch die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Schreiben vom 20. Oktober 2021 die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt, da die Auslegung von § 1c Abs. 2 CoronaVO obergerichtlich nicht geklärt sei. Das Urteil lasse bei der gebotenen materiell-rechtlichen Überprüfung jedoch keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat daher beantragt, die zugelassene Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 4 OWiG zu verwerfen.
II.
Der gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG statthafte und auch zulässige Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg, da eine Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts nicht geboten erscheint.
Die Fortbildung des Rechts besteht darin, bei der Auslegung von Rechtssätzen und der rechtsschöpferischen Ausfüllung von Gesetzeslücken Leitsätze aufzustellen und zu festigen. Mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde soll den Oberlandesgerichten die Möglichkeit eröffnet werden, ihre Rechtsauffassung in einer für die nachgeordneten Gerichte richtunggebenden Weise zum Ausdruck zu bringen. Eine Zulassung einer Rechtsbeschwerde kommt nur bei Rechtsfragen in Betracht, die entscheidungserheblich, klärungsbedürftig, d. h. noch offen, zweifelhaft oder bestritten, sind und die zudem abstraktionsfähig, d. h. durch Aufstellen abstrakt-genereller Regelungen von praktischer Bedeutung, sind (Seitz/Bauer in Göhler, OWiG, 18. Auflage, § 80 Rn. 3).
1. Obergerichtlich ist hinreichend geklärt, dass Normen des Infektionsschutzgesetzes und der CoronaVO im Hinblick auf nächtliche Ausgangsbeschränkungen zumindest in der verfahrensgegenständlichen Fassung vom 18. Januar 2021 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind. So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner "Bundesnotbremse I - Entscheidung" (BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021 -1 BvR 781/21, 1 BvR 798/21, 1 BvR 805/21, 1 BvR 820/21, 1 BvR 854/21, 1 BvR 860/21, 1 BvR 889/21, juris Rn. 238 ff.) die durch den Bundesgesetzgeber erlassene nächtlichen Ausgangssperre gemäß § 28b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweise vom 22. April 2021 (BGBl. I S. 802) als mit dem Grundgesetz vereinbar angesehen. Auch der Verwaltungsgerichtsh...