Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Frage der Kapitalmarkthaftung einer Holdinggesellschaft wegen unterlassener Ad-hoc-Mitteilungen über möglicherweise kursrelevante Umstände aus dem operativen Geschäftsbereich einer Beteiligungsgesellschaft.
Leitsatz (amtlich)
1. Sind mehrere börsennotierte Unternehmen von demselben Ereignis unmittelbar betroffen im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 WpHG aF, und liegen die sonstigen Voraussetzungen der Ad-hoc-Pflicht bei ihnen vor, so haben alle diese Unternehmen gesonderte Ad-hoc-Meldungen zu veröffentlichen.
2. Eine Holdinggesellschaft kann von Vorgängen aus der Sphäre einer Beteiligungsgesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 WpHG Satz aF auch dann unmittelbar betroffen sein, wenn diese Vorgänge ausschließlich die Geschäftstätigkeit der Beteiligungsgesellschaft betreffen. Die Frage, ob die Holdinggesellschaft von derartigen Vorgängen unmittelbar betroffen ist, ist anhand einer wertenden Betrachtung der Umstände des konkreten Einzelfalls zu beantworten. In diese wertende Betrachtung haben insbesondere Gesichtspunkte wie die Art der Unternehmensverbindung und die Bedeutung des jeweiligen Ereignisses für die Holding einzufließen.
3. Die Publizitätspflicht gemäß § 15 WpHG aF setzt voraus, dass der Vorstand des Emittenten entweder Kenntnis von einer Insiderinformation hat oder dass ihm diese infolge der Verletzung von Wissensorganisationspflichten nicht bekannt ist.
4. Nehmen Anleger einen Emittenten gemäß § 37b Abs. 1 WpHG aF auf Schadensersatz wegen der unterlassenen Veröffentlichung von Insiderinformationen in Anspruch, so haben die Anleger zu beweisen, dass der Emittent Kenntnis von den fraglichen Insiderinformationen hatte bzw. dass seine Nichtkenntnis auf der Verletzung von Wissensorganisationspflichten beruhte.
5. Die Haftung einer börsennotierten Gesellschaft gemäß § 37b WpHG aF kann grundsätzlich nicht auf Wissen gestützt werden, das auf Seiten eines mit dieser Gesellschaft verbundenen Unternehmens lediglich deshalb fingiert wird, weil die Vorstandsmitglieder des verbundenen Unternehmens die fragliche Insiderinformation pflichtwidrig nicht kannten.
6. Hat eine Person, die sowohl Vorstandsmitglied einer Holdinggesellschaft als auch einer Beteiligungsgesellschaft ist, aus ihrer Tätigkeit für die Beteiligungsgesellschaft Wissen erlangt, so kann eine Haftung der Holdinggesellschaft gemäß § 37b Abs. 1 WpHG aF grundsätzlich nicht auf dieses Wissen gestützt werden, wenn es im Verhältnis zur Beteiligungsgesellschaft der Verschwiegenheitspflicht unterliegt.
7. Eine Durchbrechung der Verschwiegenheitspflicht im Interesse einer einheitlichen Konzernleitung kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn eine Gesellschaft zwar über die nach § 17 Abs. 1 AktG für ein Abhängigkeitsverhältnis ausreichende Möglichkeit verfügt, herrschenden Einfluss auf das abhängige Unternehmen auszuüben, davon aber nicht durch einheitliche Leitung (§ 18 Abs. 1 AktG) Gebrauch macht. Ebenso wenig lassen ein etwaiger Informationsanspruch aus § 15 WpHG aF oder die Treuepflicht der Doppelvorstandsmitglieder die Verschwiegenheitspflicht entfallen.
8. Die Befugnis zur Weiterleitung von der Verschwiegenheitspflicht unterliegenden Informationen an eine andere Gesellschaft setzt grundsätzlich voraus, dass der Vorstand der Gesellschaft, der gegenüber das Doppelvorstandsmitglied zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, dieses davon entbunden hat.
9. Das Verbot der Weitergabe von Insiderinformationen gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 WpHG aF kann der Weiterleitung des im Rahmen der Tätigkeit für eine Beteiligungsgesellschaft erlangten Wissens eines Doppelvorstandsmitglieds an den Gesamtvorstand der Holdinggesellschaft entgegenstehen.
Normenkette
AktG §§ 17-18; WpHG § 13 Fassung 16.7.2007, § 14 Fassung 16.7.2007, § 15 Fassung 5.1.2007, § 37b Fassung 28.10.2004; ZPO § 142
Nachgehend
Tenor
I. Es werden folgende Feststellungen getroffen:
A.I.1a. Einer Ad-hoc-Veröffentlichungspflicht der Musterbeklagten als Holdinggesellschaft ohne operatives Geschäft über Ereignisse aus der Geschäftstätigkeit der Volkswagen AG steht nicht schon entgegen, dass diese selbst gegebenenfalls hierüber ad-hoc-pflichtig ist.
A.I.3. Für die [Muster]Beklagte besteht eine Ad-hoc-Pflicht auch dann, wenn der für die Volkwagen AG ad-hoc-pflichtige Vorgang bei der [Muster]Beklagten zum Zeitpunkt des ad-hoc-pflichtigen Vorgangs keine über die nur reflexartige Vermittlung der wirtschaftlichen Folgen des ad-hoc-pflichtigen Vorgangs für die Volkswagen AG entsprechend der öffentlich bekannten Beteiligungsquote der [Muster]Beklagten an der Volkswagen AG hinausgehenden Folgen auslöst.
B.I.1a. Der objektive Tatbestand des § 37b Abs. 1 WpHG (in der bis zum 1.7.2016 geltenden Fassung) setzt keine Kenntnis des Emittenten von den eine Insiderinformation im Sinne des § 13 WpHG (in der bis zum 1.7.2016 geltenden Fassung) bildenden Umständen voraus.
B.II.1. Für eine (zurechenbare) Kenntnis der [Muster]Beklagten von einer vermeintli...