Leitsatz (amtlich)
1. Für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens mit Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung der durch eine Mobilfunksendeanlage verursachten Strahlenbelastung besteht ein rechtliches Interesse, wenn der Antragsteller kaufvertragliche Ansprüche geltend macht, weil ihm bei Abschluss des Vertrags über den Kauf einer Eigentumswohnung in dem Gebäude, auf dem nunmehr eine Antenne montiert ist, der seinerzeit bereits erfolgte Abschluss eines Nutzungsvertrags mit dem Mobilfunkunternehmen nicht mitgeteilt worden war. Der gegenwärtige Stand der Rechtsprechung zu Unterlassungsansprüchen gegen den Betrieb solcher Anlagen rechtfertigt es nicht, ein Gutachten als ungeeignetes Beweismittel zu erachten, da eine ganz offensichtliche Aussichtslosigkeit des beabsichtigten Rechtsschutzbegehrens nicht festgestellt werden kann.
2. Die Behauptung des Antragsgegners, er sei nicht verhandlungs- und vergleichsbereit, schließt die Bejahung eines rechtlichen Interesses an einem selbständigen Beweisverfahren nicht aus.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 29.10.2004; Aktenzeichen 18 OH 6/04) |
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des LG Stuttgart vom 29.10.2004 (18 OH 6/04) aufgehoben. Es ist nach Maßgabe der Beweissicherungsanträge Beweis zu erheben.
II. Die weiter erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen werden dem LG übertragen.
III. Der Streitwert für Beschwerdeverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsteller begehren die Einleitung und Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Behauptung, durch die Anbringung einer Mobilfunkantenne auf dem Gebäude D.-Str. 27 in Stuttgart sei eine erhebliche Beeinträchtigung ihres dort gelegenen Wohnungseigentums erfolgt. Die Antragsteller hatten durch notariellen Vertrag vom 6.9.2002 einen Miteigentumsanteil an diesem Grundstück sowie im notariellen Vertrag näher bezeichnetes Sondereigentum von der Antragsgegnerin käuflich erworben. Sie machen geltend, bereits am 1.3.2002 sei die Errichtung einer Mobilfunkanlage auf diesem Gebäude baurechtlich genehmigt worden. Die Antragsgegnerin habe sie hierauf nicht hingewiesen. Ebenso seien in der Modernisierungsbeschreibung vom 9.7.2002 keinerlei Hinweise und sonstige detaillierte Darstellungen bezüglich der beabsichtigten Mobilfunkanlage auf dem Dach des Gebäudes enthalten gewesen.
Die Antragsteller sind der Auffassung, dass gegenwärtig aufgrund der nicht genau festgelegten Strahlenbelastungen durch diese Mobilfunkanlage Immobilien dieser Art unverkäuflich bzw. nur mit erheblichen Abschlägen verkäuflich seien. Es solle mit Mängelbeseitigungsmaßnahmen alsbald begonnen werden, um Gesundheitsbeeinträchtigungen künftig zu vermeiden. Das Beweissicherungsgutachten werde voraussichtlich in hohem Maße geeignet sein, zu einer einvernehmlichen Lösung der Meinungsverschiedenheiten beizutragen. Die Beweiserhebung soll Art und Umfang der Einwirkungen durch die Mobilfunkanlage, die erfoderlichen Maßnahmen und die Vermögenseinbußen im Falle eines Verkaufs zum Gegenstand haben.
Die Antragsteller möchten auch (Schriftsatz v. 5.7.2004, Bl. 31) Aufschluss erlangen über die Art der Strahlungen, insb. über die Intensität und über die thermischen und athermischen Auswirkungen, sowie über die baulichen und sonstigen bauphysikalischen Maßnahmen, um die Strahleneinwirkungen abzuwehren.
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegen getreten.
Mit Beschluss vom 29.10.2004 hat das LG den Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zurückgewiesen. Die Antragsteller könnten ein rechtliches Interesse an der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nicht geltend machen. Es liege ein Ausnahmefall vor, in dem ein rechtliches Interesse zu verneinen sei, und zwar im Hinblick auf die Entscheidungen des BGH vom 13.2.2004 (BGH v. 13.2.2004 - V ZR 217/03, BGHReport 2004, 831 = MDR 2004, 742 = NJW 2004, 1317) sowie des BVerfG v. 28.2.2002 (BVerfG v. 28.2.2002 - 1 BvR 1676/01, CR 2002, 666 = NJW 2002, 1638) zur elektromagnetischen Verträglichkeit von Mobilfunksendeanlagen. Es erscheine als ausgeschlossen, dass den Antragstellern die von ihnen geltend gemachten Ansprüche ggü. der Antragsgegnerin wegen möglicher Gesundheitsgefährdungen bzw. wegen der befürchteter Wertminderung ihrer Eigentumswohnung zustünden.
Hinzu komme als letztlich entscheidender Gesichtspunkt, dass das Sachverständigengutachten als Beweismittel derzeit als ungeeignet anzusehen sei. Der BGH (BGH v. 13.2.2004 - V ZR 217/03, BGHReport 2004, 831 = MDR 2004, 742 = NJW 2004, 1317) habe ausführlich dargelegt, dass es bislang nicht gelungen sei, den Nachweis zu erbringen, dass athermische Effekte elektromagnetischer Felder, zumal unterhalb der durch die 26. BImSchV gezogenen Grenzen, zu gesundheitlichen Schäden führen können. Die Durchsetzung des Justizgewährungsgebots verlange angesichts dieser Umstände keine Beweisaufnahme.
Gegen diesen sehr ...