Leitsatz (amtlich)
1. Sind ein Bauunternehmer und ein Bauträger bei einem zwischen ihnen vor Erlass des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2013 (V R 37/10, BFHE 243, 20) abgeschlossenen und durchgeführten Bauvertrag übereinstimmend von der Steuerschuldnerschaft des Bauträgers gemäß § 13b Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 UStG 2011 ausgegangen und hat der Bauträger die auf die erbrachten Leistungen des Bauunternehmers entfallende Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt, steht dem Bauunternehmer aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung ein Anspruch auf Zahlung des Umsatzsteuerbetrags zu, wenn der Bauträger Erstattung der Steuer verlangt und deshalb für den Bauunternehmer die Gefahr entsteht, wegen der Heranziehung als Steuerschuldner gemäß § 27 Abs. 19 UStG die Umsatzsteuer abführen zu müssen (Anschluss an BGH, Urteil vom 17. Mai 2018 - VII ZR 157/17 -).
2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die ergänzende Vertragsauslegung ist derjenige des Vertragsschlusses, es kommt also darauf an, was die Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gewollt hätten. Die Vertragsparteien hätten im Zweifel zum Zeitpunkt des Abschlusses des Werkvertrags nicht vereinbart, dass nur dann eine um die Umsatzsteuer erhöhte Vergütung zu zahlen ist, wenn zum Zeitpunkt der Heranziehung der Auftragnehmerin als Steuerschuldnerin gemäß § 27 Abs. 19 UStG der Umsatzsteueranspruch der Staatskasse unverjährt ist.
3. Ob gegen die Auftragnehmerin rechtmäßig geänderte Umsatzsteuerbescheide erlassen worden sind oder ob im Steuerverhältnis zur Auftragnehmerin Festsetzungsverjährung eingetreten ist, spielt für das zivilrechtliche Vertragsverhältnis zwischen der Auftragnehmerin und der Auftraggeberin jedenfalls dann keine Rolle, wenn die Änderungsbescheide allenfalls rechtswidrig und anfechtbar, aber nicht unwirksam oder nichtig sind.
4. Der ergänzenden Vertragsauslegung stehen weder § 254 BGB noch der Vorwurf eines treuwidrigen Verhaltens der Auftragnehmerin (§ 242 BGB) entgegen, wenn die Auftragnehmerin bei höchstrichterlich ungeklärter Rechtslage sich nicht gegen die Umsatzsteuer-Änderungsbescheide im Hinblick auf die Frage der Verjährung gewendet hat.
Normenkette
AO § 169 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, § 171 Abs. 14; BGB §§ 133, 157; UStG §§ 13b, 18, 27 Abs. 19
Verfahrensgang
LG Heilbronn (Urteil vom 25.03.2020; Aktenzeichen 10 O 224/19) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 25.03.2020, Az. 10 O 224/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Heilbronn ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 210.000 Euro abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheiten in dieser Höhe leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 181.918,58 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Streitgegenstand ist eine Restwerklohnforderung in Höhe der Umsatzsteuer, nachdem die Beklagte diese als Umkehrsteuer zu Unrecht abgeführt und sich später hat erstatten lassen.
Die Firma X. R. GmbH & Co KG, später umgewandelt (Anlage K 12) in X. H. GmbH & Co KG (im Folgenden Zedentin), führte für die Beklagte, Bauträgerin, Rohbauarbeiten am Bauvorhaben Y. in A., Neubau Wohnanlage Haus 5, 6 und 7 mit Tiefgarage aufgrund Bauvertrages vom 14./17.05.2010 aus. Vereinbart war ein Pauschalpreis. Die Mehrwertsteuer sollte die Beklagte gemäß § 13b Abs. 2 S. 2 UStG a.F. an das Finanzamt abführen. Auf vier Schlussrechnungen der Zedentin aus dem Zeitraum vom 22.12.2010 bis 05.05.2011 (Anlage K 3) zahlte die Beklagte insgesamt 957.466,22 Euro (netto) und führte selbst die darauf anfallende Umsatzsteuer in Höhe von 181.918,58 Euro an das Finanzamt Öhringen ab. Nachdem der BFH am 22.08.2013 (V R 37/10) entschieden hatte, das das Reverse-Charge-Verfahren (§ 13b Abs. 2 S. 2 UStG a.F.) auf die Erbringung von Bauträgerleistungen keine Anwendung findet, beantragte die Beklagte Änderungsbescheide und die Rückerstattung der abgeführten Umsatzsteuer. Gegen die Umsatzsteueranmeldung 2010 und von 2011 / 2012 legte die Beklagte mit Schreiben vom 23.12.2015 bzw. 07.12.2016 (Anlage FK 5 = Bl. 72e) Einspruch ein, ohne diesen weiter zu begründen. Die Erstattung der Umsatzsteuer beantragte die Beklagte schließlich mit Schreiben vom 16.04.2018 bzw. 15.02.2019 (Anlage FK 4) und führte darin zur § 13b UStG-Problematik und dem BFH-Urteil aus.
Mit Schreiben vom 20.08.2019 setzte das für die Beklagte zuständige Finanzamt Öhringen das für die Zedentin zuständige Finanzamt Stuttgart III von der beantragten Steuererstattung der Beklagten in Kenntnis (Anlage K 4). Mit Schreiben vom 12.09.2019 (Anlage BBK 2 = e-Anlage) setzte dieses Finanzamt die Zedentin über den Erstattungsantrag der Beklagten in Kenntnis und informierte diese ü...