Leitsatz (amtlich)

1. Eine vom Bauträger verwendete Abnahmeklausel, wonach das gemeinschaftliche Eigentum für die Wohnungseigentümer durch einen von der Wohnungseigentümerversammlung zu wählenden vereidigten Sachverständigen abgenommen wird, verstößt gegen § 9 Abs. 1 AGBG a.F. (Anschluss OLG Stuttgart v. 31.03.2015 - 10 U 46/14).

2. Im Falle einer in Folge der Nichtigkeit der Abnahmeklausel unwirksamen Abnahme beginnt die Verjährung von Gewährleistungsansprüchen regelmäßig erst mit der Abnahme. Die Verjährungsfrist enden nicht spätestens mit der Verjährung des Erfüllungsanspruchs (entgegen OLG Stuttgart v. 02.04.2024 - 10 U 13/23).

3. Der Annahme einer Verwirkung von Gewährleistungsansprüchen steht regelmäßig entgegen, dass der Bauträger als Verwender einer unwirksamen Abnahmeklausel kein schutzwürdiges Vertrauen auf die Wirksamkeit der Abnahme haben kann. Dies gilt auch dann, wenn er zum Zeitpunkt der Verwendung nicht ohne weiteres mit einem Verstoß gegen § 9 Abs. 1 AGBG a.F. rechnen musste (entgegen OLG München v. 01.12.2023 - 28 U 3344/23).

 

Normenkette

AGBG a.F. § 9 Abs. 1; BGB a.F. § 633; BGB § 199 Abs. 4, §§ 242, 634a, 638, 640 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 16.07.2019; Aktenzeichen 15 O 129/17)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 16.07.2019, Az. 15 O 129/17, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

(1) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 15.550,25 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 11.05.2017 zu bezahlen.

(2) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.216,16 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 22.10.2017 zu bezahlen.

(3) Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit in Höhe einer Forderung von 1.292,04 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen erledigt ist.

(4) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen die Klägerin 10% und die Beklagte 90%.

4. Dieses Urteil sowie das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Stuttgart, soweit dieses Urteil aufrechterhalten worden ist, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Jeder Teil kann die Vollstreckung des jeweils anderen Teils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der andere Teil vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 18.635,10 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Vorschussanspruch für Mangelbeseitigungskosten sowie Schadensersatz wegen behaupteter Mängel geltend.

Die Klägerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Im Jahr 1988 errichtete die Beklagte als Bauträgerin Mehrfamilienhäuser in der K.-Allee 11 und im E.-Weg 4 und 6 in L.. In den mit den Erwerbern abgeschlossenen Kaufverträgen ist in Ziffer II.5 in Verbindung mit Ziffer 1.3 der Allgemeinen Vertragsbestimmungen zur Abnahme folgendes geregelt:

"Das gemeinschaftliche Eigentum wird für die Wohnungseigentümer durch einen vereidigten Sachverständigen abgenommen. Bei Wohnanlagen, die aus mehreren Gebäuden bestehen, kann jedes Gebäude einzeln abgenommen werden (Teilabnahme). Der Sachverständige soll auch die Beseitigung der bei der Abnahme festgestellten Mängel bestätigen. Die Kosten des Sachverständigen sind im Kaufpreis berücksichtigt. Der Sachverständige ist in der ersten Wohnungseigentümer-Versammlung durch Beschluß zu bestellen; er führt die Abnahme in Vertretung der einzelnen Wohnungseigentümer für diese durch, wozu er heute schon vom Käufer bevollmächtigt wird."

Am 11.02.2000 wurde entsprechend der vorstehenden Bestimmung der Sachverständige E. beauftragt, der dann im selben Jahr beginnend ab dem 06.03.2000 mehrere Abnahmetermine durchführte. Am 20.10.2004 führte die Klägerin einen Durchgang mit der von ihr beauftragten Sachverständigen N. vor dem vermeintlichen Ablauf der fünfjährigen Gewährleistungsfrist durch. Zu diesem Zeitpunkt gingen alle Beteiligte davon aus, dass die Abnahme am 06.03.2000 erfolgt war und die vertraglich vereinbarte fünfjährige Gewährleistungsfrist in Gang gesetzt hatte. Das Gutachten vom 07.12.2004 über Mängel am Gebäude übergab die Klägerin der Beklagten zur Mangelbeseitigung.

Mit E-Mail vom 18.11.2014 forderte die Klägerin die Beklagte unter Bezugnahme auf ein Gutachten des Sachverständigen H. zur Beseitigung von Mängeln am Dach auf. Nachdem die Beklagte dem nicht nachgekommen ist, macht die Klägerin mit der Klage einen Vorschuss für die Beseitigung der behaupteten Mängel in Höhe von 13.120,94 EUR und 1.292,04 EUR geltend. Darüber hinaus begehrt sie die Erstattung der Kosten der eingeschalteten Privatgutachter H. (1.871,08 EUR), Ho. (558,23 EUR) und S. (1.792,81 EUR).

Das Landgericht hat di...

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