Leitsatz (amtlich)
Der Herleitung von Rechten des Verbrauchers aus einem wegen eines Belehrungsfehlers möglichen Widerruf eines vor langer Zeit abgeschlossenen Verbraucherdarlehensvertrages kann der Einwand der Verwirkung oder des Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht generell und nicht allein wegen des Zeitablaufs und der Erfüllung der vertraglichen Pflichten des Verbrauchers in Unkenntnis der fortbestehenden Widerruflichkeit entgegengehalten werden. Eine Treuwidrigkeit kommt vielmehr nur wegen Besonderheiten im Einzelfall in Betracht.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 23.10.2015; Aktenzeichen 12 O 181/15) |
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 23.10.2015, Az. 12 O 181/15, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren: EUR 18.978,23
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Rückgewähr einer von den Klägern bei Ablösung eines Verbraucherdarlehens bezahlten Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von EUR 18.978,23.
1. Die klagenden Eheleute schlossen als Verbraucher bei dem beklagten Bankinstitut am 14.08.2008 einen Darlehensvertrag zur Nr. xxx und zur Nr. yyy ab (Bl. 41 d.A.). Zweck des Darlehens war eine Immobilienfinanzierung in L. Das Darlehen belief sich ursprünglich auf EUR 114.000,00 und weitere EUR 9.130,00 bei einem effektiven Jahreszins von 5,79 %.
Mit Schreiben vom 12.06.2014 (Bl. 14 d.A.) widerriefen die Kläger den Darlehensvertrag, lösten das verbliebene Darlehen ab und entrichteten zur Freigabe von Sicherheiten eine Vorfälligkeitsentschädigung von EUR 18.978,23. Diese bilden den Gegenstand der Auseinandersetzung. Im Hinblick auf den erklärten Widerruf begehren die Kläger die Rückzahlung dieses Betrages. Die Beklagte verweigert das.
2. Die Kläger meinen, die Beklagte sei nach erfolgtem Widerruf zur Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung von EUR 18.978,23 nebst Rechtshängigkeitszinsen verpflichtet. Der Widerruf sei nicht verfristet, da die Frist zur Erklärung mangels ordnungsgemäßer Belehrung nicht angelaufen sei. Die Widerrufsbelehrung leide bezüglich der Formulierung zum Fristanlauf daran, dass diese nicht eindeutig gefasst sei. Die Formulierung erwecke den irrigen Eindruck, die Frist beginne erst mit der Übersendung des Vertragsantrages der Bank. Zudem seien sie - Kläger - nicht über die Rechtsfolgen finanzierter Geschäfte informiert worden. Insgesamt sei die Belehrung nicht umfassend, unmissverständlich und eindeutig. Das Recht zum Widerruf sei zudem nicht missbräuchlich oder verwirkt. Der Gesetzgeber habe sich 2002 für den Fall unzureichender Belehrung für den unbefristeten Widerruf bei Verbraucherverträgen entschieden. Zudem habe die Bank auch deshalb nicht auf das Ausbleiben eines Widerrufs vertrauen dürfen, weil Verbraucher ihr Widerrufsrecht nach fehlerhafter Widerrufsbelehrung üblicherweise gar nicht kennen.
Die beklagte Bank meint demgegenüber, die im Streit stehende Widerrufsbelehrung sei nicht zu beanstanden. Die Formulierung zum Fristanlauf "einen Tag, nachdem..." lenke nicht davon ab, dass es für den Fristanlauf maßgeblich auf die Vertragserklärung des Darlehnsnehmers ankomme. Auch der Vorwurf einer unzureichenden Belehrung über die Rechtsfolgen finanzierter Geschäfte gehe fehl. Eine solche Belehrung verlange das Gesetz für Verbraucherkredite und insbesondere Immobilienfinanzierungen gar nicht. Ein verbundenes Geschäft, das allenfalls eine solche Belehrungsnotwendigkeit begründen könne, liege nicht vor. Die maßgebliche Frist zum Widerruf sei damit abgelaufen. Der von den Klägern erklärte Widerruf sei zu spät erfolgt. Hilfsweise sei das Zahlungsverlangen zumindest treuwidrig. Etwaige Abweichungen von der gesetzlichen Musterwiderrufsbelehrung seien marginal und hielten einen Verbraucher nicht vom Widerruf ab. Zudem liege schlicht Vertragsreue vor, da die Kläger nun an anderer Stelle zu besseren Konditionen finanzieren könnten. Den Klägern gehe es somit allein um die Erlangung wirtschaftlicher Vorteile.
Wegen der Einzelheiten des Vortrags der Parteien in I. Instanz wird im Übrigen auf die landgerichtlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.
3. Das LG Stuttgart gab der Klage im I. Rechtszug statt. Zur Begründung heißt es, § 346 Abs. 1 BGB gewähre den Klägern einen Anspruch auf Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung. Der Widerruf sei rechtzeitig erfolgt. Die Widerrufsfrist habe mangels ordnungsgemäßer Belehrung nicht zu laufen begonnen. Die Belehrung im Streitfall entspreche nicht der Musterbelehrun...