Verfahrensgang

LG Rottweil (Urteil vom 23.05.2019; Aktenzeichen 2 O 26/19)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 23.05.2019 - 2 O 26/19 - wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.597,10 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab 17.01.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des AX mit der FIN xx nebst Schlüsseln und Fahrzeugpapieren.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen der Kläger 30 % und die Beklagte 70 %. Die Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug werden gegeneinander aufgehoben.

III. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen

Streitwert des Berufungsverfahrens: 10.855,09 Euro

 

Gründe

A Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz nach dem Erwerb eines von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs.

Der Kläger hat am 20.03.2016 einen Pkw AX mit einer Laufleistung von 133.000 km zum Preis von 17.600,00 Euro erworben. Bei Schluss der mündlichen Verhandlung hatte das Fahrzeug eine Laufleistung von 212.792 km.

In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten gelieferter Dieselmotor mit der herstellereigenen Typenbezeichnung EA 189 verbaut, der die in der VO (EG) Nr. 715/2007 angeordneten Emissionsgrenzwerte bezüglich der Stickoxide zwar auf dem Prüfstand unter Laborbedingungen im sogenannten Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) einhält, jedoch im realen Straßenverkehr weit überschreitet, was darauf zurückzuführen ist, dass die Beklagte diesen Motor per Softwaresteuerung mit zwei Betriebsmodi versehen hat.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts verwiesen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter. Er beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 10.855,09 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des AX mit der FIN xx nebst Schlüsseln und Fahrzeugpapieren.

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des AX mit der FIN xx in Annahmeverzug befindet.

Die Beklagte beantragt:

Zurückweisung der Berufung.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

B Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Der Kläger hat Anspruch auf Schadensersatz, muss sich jedoch Nutzungsvorteile anrechnen lassen.

I. Dem Kläger steht dem Grunde nach ein Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz seines Schadens gemäß § 826 BGB zu (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 13 ff.).

1. Die Beklagte hat durch das Inverkehrbringen des Motors sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB gehandelt. Der Motor wurde vom belieferten Hersteller in ein Fahrzeug eingebaut, dessen Betriebserlaubnis im Hinblick auf die im Rahmen des EG-Typgenehmigungsverfahrens nicht offengelegte streitgegenständliche Umschaltlogik in Frage stand.

Mit der Herstellung und dem anschließenden Inverkehrbringen der hier in Rede stehenden Motoren bringt die Beklagte jedenfalls konkludent zum Ausdruck, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf, das heißt über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bestimmter konstruktiver Eigenschaften gefährdet ist, die dem Hersteller bereits bei der Auslieferung des Fahrzeugs bekannt waren. Diese konkludente Erklärung entsprach nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Bei der im streitgegenständlichen Motor vorhandenen Einrichtung, die bei erkanntem Prüfstandlauf eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert, handelt es sich um eine nach Artikel 5 Absatz 2 Satz 1 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung (Senatsurteil vom 30. Januar 2020 - 2 U 306/19, juris Rn. 18 bis 21).

2. Der Abschluss des Kaufvertrages ist als Schadensereignis im Sinne von § 826 BGB anzusehen. Jemand kann auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass er durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte, und dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist (Senat, a.a.O., juris Rn. 23). Dies trifft auch auf den Kläger zu, denn im maßgebenden Zeitpunkt des Vertragsabschlusses entsprach das Fahrzeug nicht den berechtigten Erwartungen des Getäuschten, da wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung eine Betriebsstillegung drohte.

3. Die schädigende Handlu...

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