Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 16.08.2019; Aktenzeichen 12 O 411/18)

 

Tenor

I. Auf die Berufungen beider Parteien wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 16.08.2019 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Volkswagen Touran 2.0 TDI, 203 KW, Fahrzeug-Identifizierungsnummer: ..., an die Klägerin 18.474,47 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für das Jahr hieraus seit dem 12.02.2020 sowie aus 19.295,42 EUR vom 26.06.2019 bis zum 11.02.2020 zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 492,54 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz für das Jahr seit dem 15.12.2018 zu bezahlen.

3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der angebotenen Gegenleistung in Annahmeverzug befindet.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Im Übrigen werden die Berufungen beider Parteien zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 69 %, die Beklagte trägt 31 %.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags, sofern nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 26.860,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit dem Erwerb eines von der Beklagten hergestellten Kraftfahrzeugs.

1. Die Klägerin kaufte am 19.07.2013 bei der Firma H. GmbH + Co. KG in F. ein Gebrauchtfahrzeug Modell VW Touran 2.0 Liter TDI mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189 (EU 5) zum Preis von 26.860,00 EUR (vgl. Anlage K1, Bl. 14 d. A.), der vom sogenannten Abgasskandal betroffen ist, und verlangt von der Beklagten, der Herstellerin des Fahrzeugs und des Motors, Schadensersatz. Das Fahrzeug hatte beim Kauf einen Kilometerstand von 3.620. Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat wies das Fahrzeug eine Laufleistung von 96.148 km auf.

Für das Fahrzeugmodell lag zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Beklagte wie zum Zeitpunkt des Erwerbs durch die Klägerin eine EG-Typgenehmigung vor. Die Motorsteuergerätesoftware verfügte über eine Fahrzykluserkennung; diese erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt. Die Software weist zwei unterschiedliche Betriebsmodi auf. Im NEFZ schaltet sie in den Modus 1, in dem es zu einer höheren Abgasrückführungsrate und zu einem verminderten Ausstoß von Stickoxiden (NOx) kommt. Außerhalb des NEFZ wird das Fahrzeug im Modus 0 betrieben.

Mit Bescheid vom 15.10.2015 erließ das Kraftfahrt-Bundesamt bezüglich der Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug nachträglich eine Nebenbestimmung mit folgendem Wortlaut: "Zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit der mit dieser Typgenehmigung oder einem ihrer Nachtragsstände genehmigten Aggregate des Typs EA 189 EU 5 sind die unzulässigen Abschalteinrichtungen (...) zu entfernen (...)."

Mit verschiedenen zwischen dem 27.01.2016 und dem 20.12.2016 erteilten Bestätigungen hat das Kraftfahrt-Bundesamt sämtliche betroffenen Fahrzeug- und Motorvarianten, darunter auch den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp, unter der Auflage freigegeben, dass ein von der Beklagten entwickeltes Software-Update der Motorsteuerungsgerätesoftware installiert wird. Das Software-Update wurde bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug durchgeführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

2. Das Landgericht hat der auf Feststellung, hilfsweise auf Schadensersatz - in Form der Erstattung des Kaufpreises in Höhe von 26.860,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von vier Prozent ab Kauf und fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 492,54 EUR, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs und abzüglich einer Nutzungsentschädigung auf Basis von 300.000 km - gerichteten Klage im Hilfsantrag stattgegeben. Den auf Feststellung gerichteten Hauptantrag hat es abgewiesen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt:

Der Hauptantrag sei wegen des Vorrangs der Leistungsklage unzulässig.

Der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB zu. Das Verhalten der Beklagten sei sittenwidrig. Die berechtigte Verkehrserwartung gehe dahin, dass ein Hersteller sich gewissenhaft an die Regeln des Zu...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge