Leitsatz (amtlich)
Die Leistungsfreiheit des Versicherers wegen Nichtzahlung der Versicherungsprämie setzt den Nachweis des Zugangs einer entsprechenden Prämienrechnung voraus. Nach Versendung mit einfachem Brief besteht für den Versicherer insoweit keine Beweisnot und deshalb auch keine Beweiserleichterung.
Verfahrensgang
LG Rottweil (Urteil vom 10.03.2015; Aktenzeichen 3 O 162/14) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des LG Rottweil vom 10.3.2015 - 3 O 162/14 - abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.204,32 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich hieraus seit 8.5.2014 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 571,44 EUR zu bezahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Berufungsstreitwert: 5.204,32 EUR
Gründe
A. Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 313a Abs. 1, 540 Abs. 2 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
B. Die Berufung der Klägerin hat Erfolg und führt zur antragsmäßen Verurteilung der Beklagten.
I. Die Klägerin leitet den von ihr mit der Klage als Hauptforderung geltend gemachten Zahlungsanspruch aus einem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag über eine Kraftfahrt-Vollkaskoversicherung für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen her. Mit diesem Fahrzeug erlitt die Klägerin am 31.1.2014 einen Verkehrsunfall. Den dadurch entstandenen Schaden i.H.v. 5.504,32 EUR verlangt die Klägerin abzgl. des Selbstbehalts von 300 EUR mit der Klage ersetzt. Die Beklagte hat sich gegen den geltend gemachten Anspruch ausschließlich damit verteidigt, sie sei mit Schreiben vom 26.2.2014 (Anlage B 1; Bl. 18 f.) wirksam nach § 37 Abs. 1 VVG vom Versicherungsvertrag zurückgetreten, zudem sei sie nach § 37 Abs. 2 VVG leistungsfrei.
Diese Einwände der Beklagten greifen indes entgegen der Ansicht des LG nicht durch, weil die Beklagte die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht bewiesen hat.
1. Nach § 37 Abs. 1 VVG ist der Versicherer, wird die erste Prämie nicht rechtzeitig gezahlt, solange zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt, wie die Zahlung nicht bewirkt ist, es sei denn, der Versicherungsnehmer hat die Nichtzahlung nicht zu vertreten. Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 VVG ist der Versicherer, ist die erste Prämie bei Eintritt des Versicherungsfalls nicht gezahlt, nicht zur Leistung verpflichtet, es sei denn, der Versicherungsnehmer hat die Nichtzahlung nicht zu vertreten. Voraussetzung von Rücktrittsrecht und Leistungsfreiheit ist es demnach, dass die Erstprämie nicht rechtzeitig gezahlt worden ist, was das Ausbleiben der Leistungshandlung zum Zeitpunkt der Fälligkeit voraussetzt (vgl. etwa Rixecker, in: Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl., § 37 Rz. 6). Für den Streitfall bedeutet dies, dass die Erstprämie, auf deren Nichtzahlung sich die Beklagte zur Begründung ihres auf § 37 Abs. 1 VVG bzw. aus § 37 Abs. 2 VVG gestützten Einwands beruft, zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls am 31.1.2014 bzw. zum Zeitpunkt des mit Schreiben vom 26.2.2014 erklärten Rücktritts zur Zahlung fällig gewesen sein muss. Fälligkeitsvoraussetzung ist indes der Zugang des Versicherungsscheins (s. Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 33 Rz. 7, § 38 Rz. 10 ff.), für den der Versicherer darlegungs- und beweisbelastet ist (vgl. etwa OLG Hamm, r+s 1992, 258; LG Hannover VersR 1990, 1377; Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 33 Rz. 8, § 38 Rz. 16 ff.; Rixecker, in: Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl., § 38 Rz. 20). Einen solchen Zugang beweist nicht - auch nicht prima facie - die Absendung. Es bestehen keine Erfahrungssätze, dass Postsendungen den Empfänger erreichen, zumal es in der Hand des Versicherers liegt, etwaige Beweisschwierigkeiten zu vermeiden (vgl. OLG Hamm, r+s 1992, 258; Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 38 Rz. 16; Rixecker, in: Römer/Langheid, VVG, 4. Aufl., § 38 Rz. 20).
2. Die Beklagte hat den nach allem ihr obliegenden Beweis, dass der einschlägige Versicherungsschein der Klägerin vor dem Verkehrsunfall am 31.1.2014 bzw. vor Zugang des Rücktrittsschreibens vom 26.2.2014 zugegangen ist, nicht geführt. Hierauf wurde bereits in der Terminsverfügung hingewiesen. Sollte das LG eine gegenteilige Feststellung getroffen haben, hätte diese nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO keinen Bestand.
a) Die Beklagte behauptet zumindest sinngemäß, der Versicherungsschein sei der Klägerin in dem genannten Zeitraum zugegangen. Sie führt aus, der Versicherungsschein sei am 26.11.2013 oder kurz danach per einfachem Schreiben an die Klägerin übersandt worden, dieses Schreiben sei nicht zurückgekommen (S. 3 des Protokolls vom 31.10.2014 [Bl. 54]). Die Klägerin bestreitet einen solchen Zugang (s. den Schriftsatz vom 23.9.2014 [Bl. 33 f. d.A.], S. 1 des Schriftsatzes vom 30.10.2014 [Bl. 45 d.A.] sowie S. 2 der Berufungsbegründung vom 28.5.2015 [Bl. 101 d.A.]). Dieses Bestreiten ist ausreichend; der Versicherungs...