Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem zu erwartenenden Geburtsgewicht unter 4.000 g ist eine primäre Section nicht indiziert, auch wenn es bei einer früheren Geburt zu einer Claviculafraktur kam.

2. Bei einem hohen Schultergeradstand ist ein stufenweises Vorgehen mit dem McRoberts-Manöver und danach dem Versuch einer inneren Lösung angezeigt. Der Versuch einer äußeren Lösung vor der inneren Lösung ist nicht behandlungsfehlerhaft.

3. Unter der Aufsicht des Facharztes kann der Versuch einer äußeren Lösung auch durch die Hebamme erfolgen.

4. Wenn der Kopf des Kindes bei vollständigem Muttermund in Beckenmitte steht, ist gegenüber einem Kaiserschnitt die vaginal-operative Entbindung in der Regel vorzugswürdig. Eine Aufklärung der Mutter über die Möglichkeit eines Kaiserschnitts ist dann nicht erforderlich.

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Aktenzeichen 15 O 465/97)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 22. Januar 1999 – 15 O 465/97 – wird

zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 15.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beschwer der Klägerin und Streitwert des Berufungsverfahrens: 120.000,00 DM

 

Tatbestand

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung bei ihrer Geburt geltend.

Die am 25.07.1963 geborene Mutter der Klägerin gebar 1988 ein Mädchen mit 2.490 g Gewicht. Die Geburt erfolgte wegen einer drohenden Asphyxie durch Vakuumextraktion. 1991 gebar sie ein weiteres Mädchen mit 3.580 g Gewicht nach vorzeitigem Blasensprung aus II. Hinterhauptslage. Während dieser Schwangerschaft litt die Mutter der Klägerin an einer Glukosurie in der 27. Woche, die nach einer Diät beendet war.

Im September 1994 wurde die Schwangerschaft mit der Klägerin festgestellt, errechneter Geburtstermin war der 29.05.1995. Im Oktober 1994 wurde die Mutter der Klägerin stationär in eine Klinik aufgenommen. Dabei wurde ein Blutzucker von 180 mg/dl festgestellt. Ein Glukosetoleranztest am 10.11.1994 war ohne Befund; in der Folge wurde während der Schwangerschaft für Glukosurie jeweils „(+)” im Mutterpaß vermerkt mit Ausnahme des 24.04.1995, an dem „+” vermerkt ist.

Am 13.05.1995 um 11.30 Uhr, in der 38. Schwangerschaftswoche, wurde die Mutter der Klägerin stationär in die Klinik der Beklagten mit Wehen aufgenommen. Die Mutter hatte bei 1,62 m Größe ein Gewicht von 85,7/90,5 kg. Der Laborbefund ergab für Glukose „+++”. Der Muttermund war 2 bis 3 cm weit geöffnet, der Kopf stand auf dem Beckeneingang und war schwer abschiebbar. Das daraufhin gefertigte CTG war suspekt. Es wies eine Herzfrequenz von um die 160 bpm auf und war eingeschränkt ondulatorisch mit silenten Abschnitten. Bei der Aufnahme wurde das Gewicht der Klägerin auf 3.250 g geschätzt, palpatorisch auf 3.800 g. Um 13.30 Uhr erhielt die Mutter der Klägerin Syntocinon. Die vaginale Untersuchung um 14.00 Uhr nach Normalisierung des CTG ergab eine Muttermundsöffnung von 2 bis 4 cm; der vorangehende Teil des Kopfes war im Beckeneingang. Um 14.50 Uhr war der Muttermund bei 7 cm; um 15.00 Uhr erhielt die Mutter der Klägerin nach Periduralanästhesie auch das Antihypertonikum Nepresol. Ab 15.10 Uhr zeigte das CTG variable Dezelerationen. Um 15.30 Uhr kam es zum Blasensprung mit grünlichem Fruchtwasser. Um 16.03 Uhr wurde der Syntocinontropf abgestellt,; danach war das CTG zunächst suspekt. Um 16.15 Uhr war der Muttermund vollständig geöffnet, der Kopf der Klägerin befand sich in Beckenmitte. Um 16.25 Uhr kam es zu einem Herztonabfall auf 80 bpm. Die Hebamme, die Zeugin M. B., informierte die Assistenzärztin, die Zeugin Dr. R., die zu diesem Zeitpunkt zwischen 300 und 400 Geburten geleitet hatte und sechs Monate vor ihrer Facharztprüfung stand. Diese verordnete das wehenhemmende Mittel Partusisten und stellte fest, daß sich der Kopf der Klägerin auf der Interspinalebene befand. Um 16.30 Uhr entschloß sie sich zur Vakuumextraktion nach Geburtsstillstand. Um 16.33 Uhr legte sie in Anwesenheit des Oberarztes Dr. W. die Saugglocke an. Dem Probezug um 16.40 Uhr folgte der Kopf prompt, um 16.44 Uhr war der Kopf nach drei leichten Zügen durch die Zeugin Dr. R. entwickelt. Sie versuchte danach die vordere Schulter zu entwickeln, was nicht gelang. Sodann versuchte die Zeugin M.-B. eine sog. äußere Überdrehung. Danach übernahm Oberarzt Dr. W. die weitere Geburtsleitung. Das Becken der Mutter der Klägerin wurde hochgeschoben, ohne daß sich die Schulter der Klägerin löste. Nach manueller innerer Lösung der vorderen rechten Schulter durch Dr. W. folgte die linke Schulter problemlos. Um 16.46 Uhr war die Klägerin aus I. Schädellage entwickelt mit einem Geburtsgewicht von 4.030 g und einem arteriellen pH-Wert von 7,29. Nach der Geburt der Klägerin fiel auf, daß der Tonus des linken Arms und der linken Hand vermindert war. Nach Rücksprache mit einer...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge