Leitsatz (amtlich)
1. Nicht jedes unerlaubte Entfernen vom Unfallort kann pauschal als arglistig im Sinne der versicherungsrechtlichen Regelungen zur Obliegenheitsverletzung angesehen werden. Für die Beurteilung sind stets die Umstände des Einzelfalls entscheidend.
2. Die Verletzung der Aufklärungsobliegenheit in der Kaskoversicherung führt nicht zwangsläufig zu einer gänzlichen Leistungsfreiheit des Versicherers, sondern nur in dem Umfang, wie eine Ursächlichkeit anzunehmen ist bzw. ein Kausalitätsgegenbeweis nicht erbracht werden kann.
Normenkette
AKB; VVG § 28
Verfahrensgang
LG Tübingen (Urteil vom 07.06.2018; Aktenzeichen 4 O 8/17) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 07.06.2018 - 4 O 8/17 - wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 07.06.2018 - 4 O 8/17 - wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert: 29.180,86 Euro.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte als Kaskoversicherer nach einem Verkehrsunfall in Anspruch, während die Beklagte im Wege der Widerklage vom Kläger Regress wegen Leistungen aus der Kfz-Haftpflichtversicherung verlangt.
Am 06.06.2015 verunfallte der Kläger gegen 19 Uhr mit seinem Fahrzeug. Er kam mit diesem in einer Linkskurve von der Fahrbahn ab, vom Grünstreifen aus schleuderte er 20 m weit über die Einfahrt eines Schotterwerks, durchbrach einen Maschendrahtzaun und kam auf dem Dach liegend auf dem Gelände des Schotterwerks zum Stillstand. Ohne die Polizei oder andere Dritte zu informieren, ließ der Kläger sich von der Unfallstelle abholen und nach Hause bringen. Gegen 21 Uhr wurde er sodann von Polizeibeamten bei sich zu Hause aufgesucht. Eine Atemalkoholkontrolle um 21.05 Uhr ergab einen Wert von 0,22 mg/l.
Der Kläger, gegen den ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort vorliegt, bringt vor, er sei beim Unfall nicht alkoholisiert gewesen, erst zu Hause habe er 1 3/4 Flaschen Bier (0,5 l) getrunken. Daher sei die Beklagte zur Leistung verpflichtet, auch eine Unfallflucht sei nicht ursächlich gewesen. Die Beklagte hält sich demgegenüber wegen mehrfacher Obliegenheitsverletzungen des Klägers für leistungsfrei.
Das Landgericht hat die Klage und die Widerklage jeweils zur Hälfte für begründet erachtet. Obwohl der Kläger die ihn treffende Aufklärungsobliegenheit verletzt habe, habe er seinen vertraglichen Anspruch aus der Kaskoversicherung nicht verloren. Nachdem ihm der Nachweis gelungen sei, nicht arglistig gehandelt zu haben, stehe ihm der Kausalitätsgegenbeweis offen. Diesen könne er teilweise erbringen, nachdem er habe nachweisen können, dass er zum Unfallzeitpunkt schlechtestenfalls eine Atemalkoholkonzentration von 0,84 Promille gehabt habe. Infolge dessen bestehe der die Beklagte treffende Feststellungsnachteil nur darin, dass ihr durch die Unfallflucht die Möglichkeit genommen worden sei, die Voraussetzungen einer grob fahrlässigen Unfallverursachung zu beweisen. Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt erscheine eine Leistungskürzung von 50 Prozent angemessen. Im Rahmen der Kfz-Haftpflichtversicherung fehle es am Nachweis einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung infolge einer Alkoholisierung.
Im Übrigen wird von der Darstellung des Tatbestandes gemäß §§ 313a Abs. 1, 540 Abs. 2 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II. Die zulässigen Berufungen beider Parteien sind nicht begründet und daher zurückzuweisen.
A. Soweit das Landgericht angenommen hat, der Kläger könne von der Beklagten aus der bei dieser genommenen Kaskoversicherung nur die Zahlung von 13.735 Euro nebst Zinsen verlangen, ist das nicht zu beanstanden.
Die Angriffe der Berufungen beider Parteien sind nicht geeignet, dies in Frage zu stellen.
1. Die Beklagte kann sich (nur) zu einem Teil auf eine Leistungsfreiheit gemäß Teil B Ziff. 2 (1) AKB berufen.
a) Richtig und in nicht zu beanstandender Weise hat das Landgericht angenommen, dass der Kläger die Aufklärungsobliegenheit nach Teil A Kaskoversicherung Ziff. 3.2 (3) AKB dadurch verletzt hat, dass er sich unerlaubt vom Unfallort entfernt und sich dabei nach § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht hat.
b) Diese Verletzung der Aufklärungsobliegenheit erfolgte auch vorsätzlich, indes nicht arglistig.
Eine arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt und weiß, dass sein Verhalten die Schadenregulierung möglicherweise beeinflussen kann. Dabei kommt es für die Beurteilung des Handelns des Versicherungsnehmers allein auf den Zeitpunkt an, in dem dieser die Obliegenheit verletzt, hier also die Zeit, zu der der Kläger seiner Pflicht aus § 142 StGB noch hätte nachkommen können (vgl. dazu BGH, Urteil vom 21.11.2012 - IV ZR 97/11, r+s 2013, 61 Rn. 29, 31).
Dies hat das Landgericht mit überzeugenden Überlegungen abgel...