Leitsatz (amtlich)

Zur Frage, ob ein Stimmrechtsverlust nach § 22 Abs. 2 WpHG aF wegen abgestimmten Verhaltens bei der Aufsichtsratswahl eintritt, wenn mit Absprachen über die personelle Besetzung eine Neuausrichtung des Geschäftszwecks angestrebt wird.

 

Normenkette

WpHG § 22 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 29.04.2016; Aktenzeichen 31 O 7/14 KfH)

 

Nachgehend

OLG Stuttgart (Urteil vom 12.06.2019; Aktenzeichen 20 U 1/16)

BGH (Urteil vom 25.09.2018; Aktenzeichen II ZR 190/17)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 21.04.2016, Az. 31 O 7/14 KfH, abgeändert.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Streitwert: 95.000 EUR

I. 1. Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit verschiedener, auf der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 21.02.2014 gefasster Beschlüsse. Dabei geht es zum Einen um die Entlastung des Aufsichtsrates für das Geschäftsjahr 2011 (TOP 4 a), zum Anderen um die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den früheren Vorstand R, den Kläger u. a. und die Bestellung eines besonderen Vertreters (TOP 6), des Weiteren um die Wahl des Aufsichtsrates (TOP 7) und eine Barkapitalerhöhung mit Bezugsrecht (TOP 8). Zentraler Streitpunkt ist dabei die Teilnahmeberechtigung des Klägers an der Hauptversammlung.

Die Beklagte ist eine börsennotierte Gesellschaft im Generalstandard mit offenem Geschäftszweck. Nachdem über ihr Vermögen am 01.05.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, beschloss die Hauptversammlung am 13.05.2011 unter dem damaligen Vorstand und Aktionär H. R die Fortsetzung der Gesellschaft. In der Folge wurde das Insolvenzverfahren am 14.10.2011 im Wege des Planverfahrens wieder aufgehoben.

Am 13.05.2011 wurde eine Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung beschlossen. Dabei wurde das Grundkapital von ursprünglich 7.768.625 EUR auf 408.875 EUR herabgesetzt; nach Zeichnung neuer Aktien in Höhe von 417.125 EUR betrug das Grundkapital nach der Kapitalerhöhung 826.000 EUR.

Der Kläger übernahm zum 31.01.2012 anlässlich der Kapitalerhöhung 150.000 auf den Inhaber lautende Stückaktien mit einem Zeichnungsbetrag von insgesamt 150.000 EUR (Anl. K 1). Vor der Kapitalerhöhung hielt er bereits 10.600 Aktien und erwarb am 01.03.2012 weitere 1.000 Stück. Am Tag der Hauptverhandlung vom 21.02.2014 hielt er 161.600 Aktien (Anl. K 3), ebenso am Nachweisstichtag gemäß § 123 Abs. 3 S. 3 AktG (31.01.2014). Dies entsprach einem Anteil in Höhe von 19,56 % am gezeichneten Kapital (826.000 EUR).

Eine Stimmrechtsmitteilung nach § 21 Abs. 1 WpHG wegen des am 31.01.2012 erfolgten Überschreitens der Schwellenwerte 3%, 5%, 10% und 15 % gab der Kläger erst verspätet, nämlich am 23.04.2013 ab (Anl. B 5).

Herr R wurde mittels Beschluss vom 10.04.2013 aus wichtigem Grund als Vorstand abberufen; zum neuen Vorstand wurde Herr P bestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie wegen des Parteivorbringens in erster Instanz wird auf die Darstellung im erstinstanzlichen Urteil verwiesen.

2. Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben und folgende Beschlüsse der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 21.02.2014 für nichtig erklärt:

1. zum Tagesordnungspunkt 4 a (Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats): "den Mitgliedern des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2011 Entlastung zu erteilen

a) Dr. S. Sch."

2. zum Tagesordnungspunkt 6 (Geltendmachung von Ersatzansprüchen und Bestellung eines besonderen Vertreters):

"a) Geltend zu machen sind Ersatzansprüche (insbesondere Beseitigungs-, Ausgleichs-, Schadensersatzansprüche) gemäß § 147 Abs. 1 AktG, insbesondere gemäß den §§ 57, 62, 88, 93, 116, 117, 310, 318 AktG, §§ 667, 681 S. 2, 687 Abs. 2, 812, 823 Abs. 1, 826 BGB in Verbindung mit §§ 264 Abs. 1, 266 StGB aus den nachfolgend genannten Sachverhaltskomplexen gegen die genannten Personen und nahestehenden Gesellschaften dieser Personen: Aus folgenden Vorgängen sollen Ersatzansprüche geltend gemacht werden:

1. Auszahlungen des damaligen Vorstandes H. R in seiner Funktion als Vorstand der Gesellschaft im Februar und März 2012 an sich selbst ohne Zustimmung und Information des Aufsichtsrats, ohne weitere Rechtsgrundlagen und sowie daraus resultierenden Zins.

2. Auszahlungen des damaligen Vorstandes H. R an die ihm nahestehende P.-x. GmbH (geschäftsführender Gesellschafter) in den Jahren 2012 und 2013, jeweils in den Monaten Februar und März für angebliche Dienstleistungen der P.-x. GmbH ohne Zustimmung und Information des Aufsichtsrats, ohne adäquate Gegenleistungen sowie den daraus resultierenden Zins.

3. Auszahlungen an die H. R nahestehende H GmbH im Februar 20...

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