Leitsatz (amtlich)
1. Der Anfechtungskläger muss innerhalb der Frist des § 246 Abs. 1 AktG die Gründe, auf welche er die Anfechtung stützt, zumindest in ihrem wesentlichen tatsächlichen Kern darlegen. a) Wird ein Entlastungsbeschluss wegen schwerwiegender und eindeutiger Rechtsverstöße des zu Entlastenden angefochten, gehört zu dem wesentlichen tatsächlichen Kern des Vorbringens die Benennung der konkreten Handlungen des zu Entlastenden, aus denen der Anfechtungskläger die Rechtsverstöße ableitet. b) Wird ein Beschluss wegen der Verletzung des Auskunftsrechts des § 131 AktG angefochten, muss der Anfechtungskläger innerhalb der Frist des § 246 Abs. 1 AktG die Fragen im Einzelnen bezeichnen, auf deren unzureichende Beantwortung er seine Anfechtung stützt. Macht er die unrichtige Beantwortung einer Frage geltend, muss er grundsätzlich auch die Antwort, die er für unrichtig hält, innerhalb der Anfechtungsfrist bezeichnen; jedenfalls kann er die Unrichtigkeit der Auskunftserteilung nicht nach Ablauf der Anfechtungsfrist aus der Antwort auf eine andere Frage ableiten, deren unzureichende Beantwortung er nicht fristgerecht gerügt hatte.
2. Da sich die Anfechtbarkeit von Entlastungsbeschlüssen wegen schwerwiegender und eindeutiger Rechtsverstöße der zu Entlastenden aus der Treuwidrigkeit der Entlastungserteilung durch die Hauptversammlungsmehrheit ableitet, müssen die Rechtsverstöße, auf welche die Anfechtung gestützt wird, den Teilnehmern der Hauptversammlung entweder bekannt oder für sie auf der Grundlage der ihnen vorliegenden Informationen erkennbar gewesen sein.
3. Die Erforderlichkeit der Auskunftserteilung i.S.v. § 131 Abs. 1 AktG bemisst sich danach, welche Informationen ein objektiv urteilender Durchschnittsaktionär für die Beurteilung eines Tagesordnungspunkts benötigt. Für die Beurteilung der Entlastung der Verwaltung benötigt der Durchschnittsaktionär zwar gegebenenfalls Informationen über die Auswirkungen künftig ungewisser Ereignisse, um beurteilen zu können, ob sich die Verwaltung kaufmännisch vernünftig verhalten hat oder ob sie unvertretbare Risiken eingegangen ist. Dazu bedarf er aber nicht der Information über die Auswirkungen von Ereignissen, deren Eintritt zwar theoretisch denkbar, aber höchst unwahrscheinlich ist.
4. Bei der Prüfung eines Auskunftsverweigerungsrechts nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG ist zu bedenken, dass die Offenlegung von Informationen trotz damit für die Gesellschaft verbundener Nachteile geboten sein kann, wenn das Interesse an der Aufklärung von Pflichtverletzungen überwiegt. Ein das Geheimhaltungsinteresse überwiegendes Aufklärungsinteresse ist allerdings nur dann anzunehmen, wenn zur Aufklärung der Pflichtverletzungen gerade die vom Fragesteller begehrten Informationen geeignet und erforderlich sind.
Normenkette
AktG §§ 131, 246
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 28.05.2010; Aktenzeichen 31 O 56/09 KfH) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 28.5.2010 - 31 O 56/09 KfH, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin Ziff. 1) trägt ein Viertel, die Klägerin Ziff. 2) trägt drei Viertel der Gerichtskosten des Berufungsverfahrens sowie der außergerichtlichen Kosten, die der Beklagten und ihrem Streithelfer im Berufungsverfahren entstanden sind.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerinnen können jeweils die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 140.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Klägerinnen und ihr Streithelfer wenden sich - in unterschiedlichem Umfang - gegen Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 30.1.2009. Betroffen sind die Beschlüsse über die Entlastung des Vorstands (Tagesordnungspunkt [TOP] 3) sowie des Aufsichtsrats (TOP 4) für das Geschäftsjahr 2007/2008, die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern (TOP 5) sowie die Vergütung des ersten Aufsichtsrats der Beklagten (TOP 6).
I.1. Die Klägerinnen und ihr Streithelfer (Bl. 98) sind mindestens seit der Einberufung der Hauptversammlung zum 30.1.2009 Aktionäre der Beklagten. Die Klägerinnen haben an der Hauptversammlung am 30.1.2009 teilgenommen und gegen die von ihnen angefochtenen Beschlüsse Widerspruch (II B. 2, S. 24) eingelegt.
2. Die Beklagte ist eine börsennotierte Gesellschaft in der Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft (SE).
a) Nach § 22 der Satzung der Beklagten in der Fassung vom 25.1.2008 (Bl. 479 ff.) reicht ihr Geschäftsjahr jeweils vom 01.08. bis zum 31.07. des folgenden Kalenderjahres. Der Gegenstand des Unternehmens der Beklagten ist in § 2 wie folgt umschrieben:
"§ 2 Gegenstand des Unternehmens
(1) Gegenstand des Unternehmens ist die Leitung von Unternehmen und die Verwaltung von Beteiligungen an Unternehmen, die insbesondere in folgenden Geschäftsfeldern tätig sind:
- Entwicklung, Konstruktion, Herstellung und Vert...