Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 19.08.2020; Aktenzeichen 21 O 82/19) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 19.08.2020 - 21 O 82/19 - abgeändert:
1. Der Beklagte wird verurteilt es zu unterlassen, in den öffentlich zugänglichen Verkaufsräumen des "XY" in der S. Straße, B., eine Videoüberwachung entgegen der Bestimmung der den Kläger individuell schützenden Normen des § 4 BDSG sowie des Art. 6 DSGVO zu betreiben.
2. Dem Beklagten wird angedroht, dass er wegen einer jeden Zuwiderhandlung auf Antrag des Gläubigers von dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges zu einem Ordnungsgeld und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zur Ordnungshaft oder zur Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu verurteilen ist. Das einzelne Ordnungsgeld darf den Betrag von 250.000 Euro, die Ordnungshaft insgesamt zwei Jahre nicht übersteigen.
3. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 280,60 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus jährlich seit dem 10.08.2018 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3.
IV. Das Urteil und das Urteil des Landgerichts, soweit es aufrechterhalten wird, sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 313a Abs. 1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO abgesehen.
II. Die zulässige Berufung ist - bis auf die Schmerzensgeldforderung und einen Teil der Anwaltskosten - im Wesentlichen begründet.
1. Unterlassungsantrag
Dem Kläger steht ein vorbeugender Unterlassungsanspruch gegen die unberechtigte Beobachtung durch die Videoanlage im XY (Lebensmittelgeschäft) des Beklagten in entsprechender Anwendung von § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB i.V.m. § 4 BDSG, Art. 6 Abs. 1 S. 1 f DSGVO zu.
a. Norminhalte und Anwendungsbereich
(1) Nach § 1004 Abs. 1 BGB kann der Eigentümer, dessen Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt wird, von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen. Nach § 1004 Abs. 2 BGB ist der Anspruch ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
§ 1004 BGB ist bei der Verletzung absoluter und deliktisch geschützter Rechte, insbesondere auch aller nach § 823 Abs. 2 BGB geschützten Rechtsgüter, entsprechend anwendbar (vgl. nur Palandt/Herrler, BGB, 80. Aufl., § 1004 BGB Rn. 4 m.w.N.).
Das durch die Art. 1 und 2 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht wird bezüglich personenbezogener Daten durch das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und seit 25.05.2018 ergänzt durch die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) geschützt (vgl. nur Palandt/Sprau, a.a.O., § 823 BGB Rn. 85 m.w.N.).
Die den einzelnen schützenden Normen des Bundesdatenschutzgesetzes, insbesondere die zur Videoüberwachung, gehören zu den Schutzgesetzen im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB (Palandt/Sprau, a.a.O., § 823 BGB Rn. 65 und etwa AG Berlin, NJW-RR 2004, 531 zur Videoüberwachung).
(2) Die Videoüberwachung ist aktuell in § 4 BDSG und war zur Zeit des ersten Besuchs des Klägers im Laden des Beklagten im März 2018 in § 6b BDSG geregelt.
§ 6b BDSG, gültig bis zum 18.5.2018, lautete:
Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen
(1) Die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) ist nur zulässig, soweit sie
1. zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen,
2. zur Wahrnehmung des Hausrechts oder
3. zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Bei der Videoüberwachung von
1. öffentlich zugänglichen großflächigen Anlagen, wie insbesondere Sport-, Versammlungs- und Vergnügungsstätten, Einkaufszentren oder Parkplätzen, oder
2. Fahrzeugen und öffentlich zugänglichen großflächigen Einrichtungen des öffentlichen Schienen-, Schiffs- und Busverkehrs
gilt der Schutz von Leben, Gesundheit oder Freiheit von dort aufhältigen Personen als ein besonders wichtiges Interesse.
(2) Der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle sind durch geeignete Maßnahmen erkennbar zu machen.
(3) Die Verarbeitung oder Nutzung von nach Absatz 1 erhobenen Daten ist zulässig, wenn sie zum Erreichen des verfolgten Zwecks erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. Für einen anderen Zweck dürfen sie nur verarbeitet oder genutzt werden, soweit dies zur Abwehr von Gefahren für die staatliche und öffentliche Sicherheit sowie zur Verfolgung von Straftaten erforderlich ist.
(4) Werden durch Videoüberwachung erhobene Daten einer ...