Leitsatz (amtlich)
Bankenhaftung bei Anlageberatung: Auslegung der von der Bank verwendeten Risikostrategiebegriffe; Anforderungen an die anlegergerechte Beratung; Verpflichtungen bei Empfehlung eines Portfolios zur anschließenden eigenverantwortlichen Verwaltung des Kunden
Verfahrensgang
LG Hechingen (Urteil vom 04.03.2013; Aktenzeichen 1 O 196/12) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 1. Zivilkammer des LG Hechingen vom 4.3.2013 - 1 O 196/12, abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, 44.453,52 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus 750.797,59 EUR für die Zeit vom 17.9.2011 bis zum 31.1.2012 sowie aus 44.453,52 EUR seit dem 1.2.2012 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, weitere 1.530,58 EUR an die Klägerin zu bezahlen.
3. Im Übrigen werden die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.
4. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 13 % und die Beklagte 87 %.
5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung der jeweiligen Gegenseite durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I. Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen das Urteil des LG Hechingen? Az. 1 O 196/12? vom 4.3.2013, mit dem es ihre Klage auf Zahlung von Schadensersatz aus abgetretenem Recht wegen Erwerbs von Wertpapieren ohne Auftrag und fehlerhafter Anlageberatung abgewiesen hat, und verfolgt ihr Klagebegehren weiter.
Während eines allgemeinen Vorgesprächs am 12.4.2011 ermittelte die Beklagte die Risikobereitschaft des Zeugen L. anhand von Fragen im Depotvertrag (Nrn. 3 bis 6 der Anl. B1) und schlug ihm daraufhin die Anlage nach der Anlagestrategie "Wachstum" vor, die er nach den Angaben im Depotvertrag auch wählte (Nr. 2 der Anl. B1). Zur Erläuterung der verschiedenen Anlagestrategien heißt es unter Nr. 1 des Depotvertrages:
"Die Anlagestrategien unterscheiden sich durch unterschiedlich stark ausgeprägte Chancen und Risiken. Im Allgemeinen gilt: Je risikoorientierter Sie Ihr Vermögen anlegen, desto größer können die Anlageergebnisse in guten und in schlechten Börsenjahren voneinander abweichen".
Nachfolgend werden die einzelnen Anlagestrategien beschrieben. So heißt es für "Wachstum":
Bei der Anlagestrategie Wachstum ist die Depotstruktur auf hohe Gewinnchancen ausgerichtet. Im Vordergrund steht die Erwirtschaftung einer überdurchschnittlichen Wertentwicklung. Hohe Wertverluste sind jederzeit möglich. Die Diversifikation wird über die Assetklassenaufteilung Renten, Aktien, Immobilien, Alternative Investments und Liquidität vorgenommen. Den Schwerpunkt dieser Anlagestrategie bilden nationale und internationale Aktien(fonds), Zertifikate und Rentenpapiere."
Zu "Chance" heißt es:
Bei der Anlagestrategie Chance ist die Depotstruktur auf überdurchschnittliche Gewinnchancen ausgerichtet. Im Vordergrund steht die Erwirtschaftung einer außergewöhnlich hohen Wertentwicklung. Sehr hohe Wertverluste sind jederzeit möglich. Die Diversifikation wird über die Assetklassenaufteilung Renten, Aktien, Immobilien, Alternative Investments und Liquidität vorgenommen. Den Schwerpunkt dieser Anlagestrategie bilden nationale und internationale Aktien(fonds) und Zertifikate."
Nach einem Beratungsgespräch am 28.6.2011 von jedenfalls mindestens 45 min über die Anlage von Wertpapieren in der Größenordnung von ca. 750.000 EUR veranlasste die Beklagte den Ankauf der besprochenen 10 Wertpapiere für den Zeugen L., deren Abrechnungen ihm nach Erstellung zugingen. In den "Geschäftsabrechnungen" vom 29. und 30.06. sowie vom 05., 06. 08. und 28.7.2011 (Anl. K4) heißt es jeweils: "Wertpapierkauf [...] Abwicklung: Festpreis [...]". In den Abrechnungen über den Kauf von Papieren, die nicht von der C. (WKN ...,... und ...) und der K. (WKN ...) emittiert wurden (im Beratungsbogen (Anl. K7) unter Ziff. 3 lit. a) bis d) sowie h) und i) aufgeführt), heißt es überdies jeweils: "In dem Kurswert sind [...] % Ausgabeaufschlag der Bank erhalten." Für diese Papiere wurden dem Zeugen L. Bonifikationen zwischen 0,58 % und 1 % des Kurswertes gewährt. Von den erworbenen Papieren waren vier der Aktienfonds sowie ein Rentenfonds in die höchste Risikoklasse eingestuft.
Ca. fünf Wochen nach dem Beratungsgespräch kam es am 4.8.2011 zu einem erneuten Gespräch des Zeugen L. mit der Beraterin der Beklagten, der Zeugin M., bei dem er sich insbesondere über den bereits eingetretenen Kursverlust von ca. 40.000 EUR beklagte. Am 17.8.2011 rügte er bei der Vertreterin der Zeugin M. während deren Urlaubs, kein Beratungsprotokoll über die Beratung vom 28.6.2011 erhalten zu haben, woraufhin diese ihn am 18.8.2011 besuchte und ihm einen Ausdruck des Protokolls (Anl. K7) übergab. Mit Schreiben vom 20.8.2011 (Anl. K2) verlangte der Zeuge L. die Rückgängigmachung seiner im Hause der Beklagten getätigten Geldanlagen und Gutschrift der ursprünglichen ...