Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 19.06.2019; Aktenzeichen 8 O 494/18)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 19.6.2019, Az. 8 O 494/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.849,67 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.1.2019 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs VW Sharan 2.0 TDI mit der FIN: ... zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1 genannten PKW im Annahmeverzug befindet.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 1/5 und die Beklagte 4/5.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung des Vollstreckungsgläubigers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten wegen des Kaufs eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Gebrauchtfahrzeugs Schadenersatz.

Der Kläger kaufte mit Vertrag vom 10.5.2012 bei dem Autohaus H. GmbH & Co. KG einen PKW VW Sharan 2.0 TDI als Gebrauchtfahrzeug mit Erstzulassung 28.2.2011 für 26.300,00 Euro brutto. Bei Kauf wies das Fahrzeug eine Laufleistung von 34.500 km auf (Anlage K 1, nach GA 12). Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 mit der Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet (nach Anlage K 1).

Die für den Fahrzeugmotor ursprünglich eingesetzte Steuerungssoftware verfügte über eine Fahrzykluserkennung, die erkannte, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand für den sogenannten Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) betrieben wird, und dann eine höhere Abgasrückführungsrate aktivierte ("Modus 1"). Im Modus 1 hielt der Motor in seiner ursprünglichen Konfiguration die auf Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 für die Schadstoffnorm Euro 5 angeordneten Emissionsgrenzwerte bezüglich der Masse der Stickstoffoxide (NOx) von 180 mg/km im NEFZ ein. Im realen Straßenbetrieb war ein anderer Betriebsmodus ("Modus 0") mit geringerer Abgasrückführungsrate aktiv.

Im Jahr 2015 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gegenüber der Beklagten den Rückruf der mit dieser Software ausgestatteten Fahrzeuge an. Grundlage der Anordnung war die Einstufung der Software als unzulässige Abschalteinrichtung. Die Beklagte entwickelte im Folgenden ein Softwareupdate, durch das die geschilderte Motorsteuerung nicht mehr zum Einsatz kommt und das vom KBA freigegeben wurde. Auf dem Fahrzeug des Klägers wurde das Softwareupdate aufgespielt.

Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über die Berufung vom 29.1.2020 betrug die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs 136.517 km.

Der Kläger meint,

ihm stehe aufgrund des Einsatzes der Motorsteuerungssoftware in dem von ihm erworbenen Fahrzeug gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch u.a. als deliktischer Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB und § 826 BGB zu, was er im Einzelnen ausführt.

Er begehrt von der Beklagten die Rückabwicklung des Kaufvertrages.

Im Übrigen wird Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 19.6.2019 stattgegeben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 17.049,24 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten vom 15.5.2012 bis 30.1.2019 aus einem Betrag von 26.300,00 und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 17.049,24 Euro seit 30.01.2019 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs VW Sharan 2.0 TDI mit der FIN: ... zu zahlen. Daneben hat es den Annahmeverzug festgestellt.

Zur Begründung hat das Landgericht angeführt, dem Kläger stehe in der Hauptsache ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 BGB zu. Durch die Handlung der Beklagten habe der Kläger einen Vermögensschaden erlitten, der darin bestehe, dass er in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware den PKW erworben und damit einen für ihn wirtschaftlich nachteiligen Vertrag geschlossen habe. Mit dem klägerischen Vortrag sei vorliegend - mangels wirksamen Bestreitens durch die Beklagte - von einer Kenntnis der Repräsentanten der Beklagten von der Manipulation der Motorsteuerungssoftware auszugehen. Die Beklagte sei ihrer sekundären Darlegungslast in diesem Punkt nicht nachgekommen. Die Schädigung sei damit vorsätzlich und sittenwidrig erfolgt. Letzteres deshalb, weil die Beklagte in großem Umfang und mit erheblichem technischen Aufwand im Profitinteresse zentrale Umweltvorschriften ausgehebelt und zugleich ihre Kunden getäuscht habe. Sie habe ein System zur planmäßigen Verschleierung ihres Vorgehens gegenüber den...

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