Leitsatz (amtlich)
Eine schwere Unterschenkelfraktur III. Grades (offene Unterschenkelfraktur) mit langwierigen Heilbehandlungen von rund 4 Monaten mit stationären Aufenthalten und Rehabilitationsmaßnahmen innerhalb von zwei Jahren, verbleibenden Dauerschäden und Einschränkungen bei früher ausgeübten Hobbies rechtfertigt ein Schmerzensgeld von 75.000 EUR.
Normenkette
BGB § 253 Abs. 2, § 823 Abs. 1; StVG §§ 7, 11 S. 2
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 15.04.2009; Aktenzeichen 18 O 140/07) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Stuttgart vom 15.4.2009 - 18 O 140/07 - neu gefasst und wie folgt abgeändert:
a) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 60.000 EUR Schmerzensgeld nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 3.6.2005 zu bezahlen.
b) Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den weiteren materiellen und immateriellen Schaden, den der Kläger aufgrund des Unfalls vom 6.8.2004 an der Kreuzung W. straße/G. weg in D. künftig erleiden wird, zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht kraft Gesetzes auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
c) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung des Klägers und die Anschlussberufung der Beklagten werden zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen der Kläger 47 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 53 %.
Von den Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug tragen der Kläger 49 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 51 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Parteien können die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung von 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Berufungsstreitwert: 158.547,09 EUR
Gründe
I. Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen ein Urteil des LG Stuttgart, mit dem seine Klage auf materiellen Schadensersatz insgesamt und auf Schmerzensgeld teilweise abgewiesen wurde.
Die beiden Beklagten wenden sich mit der Anschlussberufung gegen die Verurteilung i.H.v. weiteren 35.000 EUR (Tenor Ziff. 1) und der Feststellung zum Ersatz aller materieller und immaterieller Zukunftsschäden (Tenor Ziff. 2) aus dem Verkehrsunfall vom 6.8.2004 in D..
Der Kläger kollidierte am 6.8.2004 gegen 17:30 Uhr in D. im Kreuzungsbereich W. straße/G. weg mit seinem Motorrad, amtl. Kennzeichen XY-XY 261, mit dem vom Beklagten Ziff. 1 gelenkten und bei der Beklagten Ziff. 2 versicherten Pkw, Mercedes Benz, amtl. Kennzeichen XX-XX 775.
Der Kläger befuhr mit seinem Motorrad den G. weg. Der Beklagte Ziff. 1 befuhr mit seinem Pkw die W. straße und missachtete die dort zugunsten der in dieser Richtung bevorrechtigten G. weg geltende Vorfahrtsregelung "rechts vor links".
Der Kläger erlitt durch die Kollision mit dem Pkw und dem anschließenden Sturz erhebliche Verletzungen, die länger andauernde und mehrfache Behandlungen nach sich zogen. Der Kläger hält hierfür ein Schmerzensgeld i.H.v. 150.000 EUR für angemessen.
Im Einzelnen waren bereits im ersten Rechtszug die klägerischen Verletzungen und die stationären Aufenthalte des Klägers unstreitig wie folgt (UA S. 3):
- Offene Unterschenkelfraktur III. Grades
- Muskeltransplantation
- Hauttransplantation
- Knochenstreckung
- Einsetzen eines Fixateurs
- Kopfplatzwunde
- Platzwunde am Nasenrücken
- 6.8.2004-14.9.2004 (= 5 ½ Wochen) stationärer Aufenthalt
- 18.10.2004-27.10.2004 (~ 2 Wochen) stationärer Aufenthalt
- 11.1.2005-23.1.2005 (~ 2 Wochen) stationärer Aufenthalt
- 14.7.2005-26.7.2005 (~ 2 Wochen) stationärer Aufenthalt
- 22.11.2005-26.11.2005 (4 Tage) stationärer Aufenthalt
- 25.4.2006-3.6.2006 (9 Tage) Rehabilitationsaufenthalt
- 21.8.2006-15.9.2006 (3 ½ Wochen) Rehabilitationsaufenthalt
Insgesamt 17 Wochen (= ~ 4 Monate) stationäre Aufenthalte
Der Kläger hat im ersten Rechtszug zum Schmerzensgeld im Wesentlichen behauptet:
- Starke Schmerzen aufgrund des langen und komplizierten Heilungsverlaufs
- Fehlende sensorische Empfindlichkeit im Wadenbereich des linken Beines
- Lebenslang andauernde Beeinträchtigungen infolge der Muskeltransplantationen und Hauttransplantationen
- Hobbies (Bergklettern, Bergwandern u.a.) könnten nicht mehr ausgeübt werden
- Tätigkeit bei der Freiwilligen Feuerwehr könnte nicht mehr ausgeübt werden
- Ein erheblicher Grad an Behinderung und dauerhafter Beeinträchtigung verbleibe dauerhaft
- Schmerzen, die nach wie vor andauerten
- Wetterfühligkeit
Die Beklagte Ziff. 2 hat insgesamt einen Betrag i.H.v. insgesamt 48.087,04 EUR bezahlt. Darin enthalten ist eine Zahlung der Beklagten Ziff. 2 auf das Schmerzensgeld i.H.v. 15.000 EUR (UA S. 5).
Das LG hat den Zeugen Ra. und den vom LG beauftragten Sachverständigen Dipl.-Ing. R. zum Unfallhergang vernommen und die materiellen Schadensersatzansprüche wegen mangelnder Substantiierung abgewiesen. Es hat festgestellt, dass die Beklagten als Gesam...