Leitsatz (amtlich)
Die Kausalität der Pflichtverletzung eines Abschlussprüfers in Gestalt einer unzureichenden Prüfung für einen Schaden der Gesellschaft entfällt, wenn der Nachweis erbracht wird, dass die Gesellschaft, die in betrügerischer Weise ein sog. Schneeballsystem betreibt, im Falle der gebotenen Nachfragen des Abschlussprüfers alle geforderten Unterlagen durch Fälschung erstellt und dem Abschlussprüfer vorgelegt hätte. Einer betrügerisch handelnden Gesellschaft steht gegen ihren Abschlussprüfer ein Schadensersatzanspruch wegen pflichtwidriger Erteilung eines Testats dann nicht zu, wenn dem vorsätzlichen Handeln des Gesellschaftergeschäftsführers eine allenfalls fahrlässige Pflichtverletzung des Abschlussprüfers gegenübersteht.
Normenkette
BGB § 254; HGB § 323 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 19.05.2021; Aktenzeichen 27 O 250/19) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 19.05.2021, Az. 27 O 250/19, abgeändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Streithelfers in beiden Instanzen zu tragen.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Beschluss
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.000.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. 1. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X. GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin wurde am 09.06.2011 durch die Gesellschafter L. B. und E. N. mit einem Stammkapital von 25.000,00 EUR gegründet und am 02.08.2011 im Handelsregister eingetragen; die Gründungsgesellschafter waren zugleich Geschäftsführer der Schuldnerin. Der wesentliche Unternehmensgegenstand der Schuldnerin bestand - nach ihren Angaben - in der Vermietung elektronischer Datenspeicher (Storagesysteme) an gewerbliche und staatliche Nutzer. Nach dem von der Schuldnerin nach außen hin behaupteten Geschäftsmodell wurden Storagesysteme von der Schuldnerin bei ihren Lieferanten gekauft, von diesen unmittelbar an die Endnutzer geliefert und dort aufgeschaltet. Kapitalanlegern bot die Schuldnerin die Möglichkeit, in dieses Geschäftsmodell zu investieren, indem Anleger von der Schuldnerin durch eine Seriennummer individualisierte Storagesysteme kaufen und diese zugleich an die Schuldnerin vermieten konnten, welche die Systeme ihrerseits an die Nutzer vermietet hatte. Ende des Jahres 2015 stellte die Schuldnerin ihre Finanzierung auf die Ausgabe von Anleihen an Kapitalanleger um. Ausweislich der Feststellungen eines im Jahr 2018 gegen den Geschäftsführer der Schuldnerin N. ergangenen Strafurteils war diese Geschäftstätigkeit weitgehend fiktiv und die Buchhaltung der Schuldnerin gefälscht.
Am 05.02.2017 erstattete ein Mitarbeiter der Schuldnerin eine anonyme Strafanzeige, am 17.02.2017 erstattete der Geschäftsführer N. Selbstanzeige. Am 23.02.2017 erging daraufhin Haftbefehl gegen Herrn N.. Der Geschäftsführer B. stellte am 03.03.2017 Antrag auf Eröffnung des lnsolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss vom 02.05.2017 eröffnet und der Kläger zum Verwalter bestellt.
Die Beklagte Ziff. 1 ist eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, welche von der Schuldnerin mit der Prüfung der Jahresabschlüsse zum 31.03.2015 und zum 31.03.2016 beauftragt war. Die Beklagten Ziff. 2 bis 4 waren mit der von der Beklagten Ziff. 1 vorzunehmenden Prüfung befasst. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch, weil die Testierung der Jahresabschlüsse für das Geschäftsjahr 2014/2015 zum 31.03.2015 sowie für das Geschäftsjahr 2015/2016 zum 31.03.2016 pflichtwidrig gewesen sei und sich durch die darauf beruhende verspätete Insolvenzantragstellung der Insolvenzschaden vertieft habe.
Wegen des unstreitigen Sachverhalts, des Vorbringens der Parteien und ihrer Anträge im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
2. Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und mit Urteil vom 19.05.2021 die Beklagte Ziff. 1 zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 1 Mio. EUR und die Beklagten Ziff. 1 - 4 gesamtschuldnerisch zur Zahlung eines weiteren Betrages in Höhe von 1 Mio. EUR verurteilt. Im übrigen ist die Klage abgewiesen worden.
Das Landgericht hat unter Bezugnahme auf das Urteil des Landgerichts Stuttgart - Wirtschaftsstrafkammer - vom 07.08.2018, Az. 16 KLs 163 Js 14209/17 (Anl. K9), seinen Ausführungen zunächst zugrunde gelegt, dass die Schuldnerin von Beginn an ein Schneeballsystem betrieben habe. Im Hinblick auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch hat es aufgrund ausführlicher Prüfung verschiedene Pflichtverletzungen der Beklagten im Zusammenhang mit der Testierung der streitgegenständlichen Jahresabsc...