Leitsatz (amtlich)
1. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch entspr. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB erfasst auch die Beeinträchtigung eines Mieters von Räumen, die aus einer anderen Einheit des Gebäudes auf demselben Grundstück herrührt.
2. § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO findet bei der Bestätigung eines erstinstanzlichen Grundurteils durch das Berufungsgericht keine Anwendung.
3. § 97 Abs. 1 ZPO begründet keine Ausnahme vom Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung (gegen BGHZ 20, 397 und BGHZ 54, 21).
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 16.10.2002; Aktenzeichen 21 O 511/01) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 21. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 16.10.2002 (21 O 511/01) wie folgt abgeändert:
Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt, mit Ausnahme der geltend gemachten Kosten für den Untersuchungsbericht der Landesgewerbeanstalt Bayern gem. Rechnung vom 26.3.2001 i.H.v. 2.900 DM/1.482,75 Euro. Insoweit wird die Klage abgewiesen.
2. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Die Revision des Beklagten wird zugelassen.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits, einschl. der Kosten der Berufung, bleibt dem Schlussurteil des LG vorbehalten.
Streitwert: 97.613,52 Euro.
Gründe
I. Die Klägerin, eine Versicherung, macht gegen den Beklagten aus übergegangenem Recht (§ 67 Abs. 1 VVG) Ersatzansprüche wegen eines Wasserschadens in den Praxisräumen ihrer Versicherungsnehmer geltend.
Die Klägerin ist die Leitungswasserversicherung einer Gemeinschaftspraxis für Oralchirurgie (künftig: Versicherungsnehmer), die im ersten Obergeschoss eines Ärztehauses betrieben wird. Dort kam es über die Osterfeiertage 1999 zu einem unkontrollierten Wassereinbruch. Ursache hierfür war ein geplatzter Zuleitungsschlauch zu einem Waschbecken in der vom Beklagten im zweiten Obergeschoss desselben Hauses betriebenen Arztpraxis. Die Klägerin erbrachte ihren Versicherungsnehmern wegen dieses Vorfalls Leistungen i.H.v. insgesamt 190.915,46 DM, die sie nunmehr vom Beklagten erstattet verlangt.
Auf die weiteren tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).
Das LG hat der Klage durch Grundurteil stattgegeben. Der Beklagte habe dadurch gegen eine ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verstoßen, dass er den mindestens 14 Jahre alten Zuleitungsschlauch nie auf Abnutzungen, Beschädigungen oder Veränderungen, die den nahen Eintritt des Berstens des Schlauchs hätten anzeigen können, untersucht habe.
Dagegen wehrt sich der Beklagte unter Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens mit der Berufung. Er verfolgt sein ursprüngliches Ziel, die Abweisung der Klage, weiter.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des LG Stuttgart vom 16.10.2002 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das landgerichtliche Urteil und stützt ihren Anspruch zudem weiterhin auf einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch gem. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog.
II. Die Berufung des Beklagten ist zulässig. In der Sache hat sie indes nur zu einem geringen Teil Erfolg. Das LG hat – mit Ausnahme einer Schadensposition – den Klageanspruch i.E. zu Recht dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet. Den Versicherungsnehmern der Klägerin steht als Mieter der Praxisräume gegen den Beklagten ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in Geld entspr. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB zu. Dieser Anspruch ist nach § 67 Abs. 1 VVG auf die Klägerin übergegangen.
1. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand kann von einer schuldhaften Verletzung einer dem Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht nicht ausgegangen werden.
Dem LG ist zwar zuzugeben, dass einen Mieter von Räumen Verkehrssicherungspflichten im Hinblick auf Gefahrenquellen aus seinem Verfügungsbereich treffen können (Schlegelmilch in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 22. Aufl., Kap. 14 Rz. 28, 102). Einem Geschädigten können darüber hinaus auch Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zu Gute kommen (Rixecker in Geigel, Der Haftpflichtprozess, 22. Aufl., Kap. 37 Rz. 59 ff. und BGH v. 18.9.1984 – VI ZR 223/82, MDR 1985, 39 = NJW 1985, 47). Das LG durfte dem Beklagten jedoch vorliegend nicht ohne weitere Beweisaufnahme ein schuldhaftes Versäumnis anlasten. Dem steht bereits das unter Beweis gestellte Vorbringen des Beklagten entgegen, der geplatzte Schlauch sei für die Verwendung im Sanitärbereich dauerdruckgeeignet und wartungsfrei. Entgegen der Auffassung des LG kann auch dem von der Klägerin vorgelegten Untersuchungsbericht der Landesgewerbeanstalt Bayern vom 6.3.2001 nicht entnommen werden, die Beeinträchtigung des Schlauchs sei für den Beklagten bei gehöriger Aufmerksamkeit vor dem Schadenseintritt erkennbar gewesen. Ausweislich des Untersuchungsberichts lagen sämtliche Beschädigungen des den Schlauch umgebenden Drahtgewebes auf einer Seite und waren daher erst nach dem Wenden des Schlauchs erkennbar. Über Einbauort und Einbaulage des Schlauchs lagen...