Leitsatz (amtlich)

1. Die digitale interne Austastung des mütterlichen Beckens gehört zum Umfang der vorgeburtlich geschuldeten Diagnostik. Auf die äußeren Beckenmaße kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

2. Bei einer unterlassenen internen Austastung haftet der Arzt nicht, wenn kein relatives Mißverhältnis zwischen knöchernem Becken der Mutter und dem Kopf des Kindes besteht.

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Aktenzeichen 15 O 281/97)

 

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 22.01.99 – 15 O 281/97 – wird

zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung tragen die Kläger.

3 Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 50.000,00 abwenden, wenn nicht die Beklagten vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Wert der Berufung

bis zur Antragstellung

600.000,00 DM

danach

400.000,00 DM;

Beschwer der Rechtsnachfolger des Klägers Ziff. 1

und der Klägerin Ziff. 2:

jew. über 60.000,00 DM.

 

Tatbestand

Die Kläger zu 1 begehren als Rechtsnachfolger ihres Sohnes M. D. H. (bis zu seinem Tod am 02.11.99 der Kläger Ziff. 1, Kind) Ersatz des ihm aus fehlerhaftem Geburtsmanagement entstandenen materiellen und immateriellen Schadens; die Klägerin Ziff. 2 – Mutter des Kindes – verlangt Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen der Folgen einer nachgeburtlich aufgetretenen Blutung. Die Beklagte Ziff. 1 ist Träger des Kreiskrankenhauses L., in welchem die Geburt stattfand. Die Beklagten Ziff. 2 und 3 waren an der Geburt als Oberärztin bzw. Stationsarzt beteiligt, der Beklagten Ziff. 4 leitete die Anästhesie der Klägerin Ziff. 2, die Beklagte Ziff. 5 war an der postpartalen Versorgung des Kindes beteiligt.

Die Klägerin Ziff. 2 wurde Ende 1993 – im Alter von 30 Jahren – zum ersten Mal schwanger. Errechneter Geburtstermin war der 09.09.94. Die Schwangerschaft verlief komplikationslos.

Wegen Terminsüberschreitung wurde die Klägerin Ziff. 2 am 20.09.94 in die Frauenklinik des Kreiskrankenhauses L. stationär aufgenommen. Es wurde ein Oxytocin-Belastungstest durchgeführt, bei welchem unter CTG-Kontrolle Syntocinon gegeben wurde. Der Fetus reagierte unauffällig. Eine Amnioskopie war nicht möglich. Die bei einer Ultraschalluntersuchung erhobenen Werte ließen ein Geburtsgewicht von etwa 4.000 g erwarten. Die Klägerin Ziff. 2 blieb unter CTG-Überwachung weiter im Krankenhaus. Am Vormittag des 21.09.94 wurde der Versuch gemacht, die Geburt mit Prepdil-Gel einzuleiten. Der Vaginalbefund – Portio 1 cm, Kopf im Becken fest aufgesetzt – blieb unverändert. Das CTG war unauffällig.

Am Vormittag des 22.09.94 wurde eine Minprostin-Tablette vaginal gelegt, um erneut Wehen zur Geburtseinleitung auszulösen. Am Nachmittag nahm die Klägerin Ziff. 2 ein Entspannungsbad und erhielt 2 Buscopan-Zäpfchen. Um 19.45 Uhr kam es zum Blasensprung mit Abgang von hellem Fruchtwasser; Wehentätigkeit setzte ein. Um 21.00 war der vaginale Befund noch unverändert; der Kopf des Feten wurde als „fest BE (im Beckeneingang) aufgesetzt” beschrieben. Gegen 21.45 Uhr ging die Klägerin Ziff. 2 auf die Toilette. Um 22.00 Uhr kehrte sie zurück. Die deshalb unterbrochene CTG-Schreibung wurde um 22.04 Uhr fortgesetzt. Die vaginale Untersuchung der Klägerin Ziff. 2 ergab einen Muttermundsbefund von 3 cm, „mittelsäumig straff, Kopf – 1”. Die Klägerin Ziff. 2 hatte erbrochen und über Preßdrang in der Wehe berichtet. Die Hebamme lagerte die Schwangere in das Kreisbett um; das CTG wurde deshalb um 22.07 Uhr abgestellt. Um 22.10 Uhr rief sie den Beklagten Ziff. 3, den zuständigen Stationsarzt, der einen venösen Zugang legen sollte, um einen Buscopantropf anzuhängen. Um 22.15 Uhr wurde das CTG wieder angestellt; die Herztöne waren auf 80–90 Schläge pro Minute abgefallen. Zu diesem Zeitpunkt erschien der Beklagte Ziff. 3 im Kreissaal; er stellte bradycarde Herztöne und „kräftige Wehen” fest. Er verabreichte zur Wehenhemmung 1 Ampulle Dilatal und führte eine Beckenhoch- und Seitenlagerung durch. Die Klägerin Ziff. 2 erhielt ferner Sauerstoff. Die vaginale Untersuchung durch den Beklagten Ziff. 3 ergab einen straff befundeten Muttermund von 3–4 cm und einen Stand des kindlichen Kopfes von – 1. Die Herztöne sanken trotz der ergriffenen Maßnahmen um 22.20 Uhr auf 60 Schläge pro Minute ab. Der Beklagte Ziff. 3 ordnete deshalb die Notsectio an und verständigte die Oberärztin (die Beklagte Ziff. 2), den Anästhesisten (den Beklagten Ziff. 4) und den OP-Pfleger. Vermerkt ist eine Rasur und nach Umlagerung um 22.27 Uhr die direkte Fahrt in den OP. Um 22.28 Uhr trafen der Anästhesist und der OP-Pfleger ein, um 22.30 die Beklagte Ziff. 2. Sie führte eine vaginale Untersuchung durch; dabei war der Muttermund bis auf einen schmalen Saum vollständig, der Kopf stand im „BE tief”. Die Herzfrequenz betrug 60 Schläge pro Minute. Um 22.35 Uhr wurde die Klägerin Ziff. 2 intubiert; die Sectio begann um 22.37 Uhr, die Geburt des Kindes erfolgte um 22.39 Uhr. Es war „blau-asphyktisch” und atmete zunächst nicht. Die Erstvers...

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