Leitsatz (amtlich)
1. Die Stellung des so genannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters gemäß §§ 21 Abs. 1, Abs. 2 2. Alt., 22 Abs. 2 InsO, der keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners erlangt hat, ist mit der Stellung des so genannten Sequesters nach § 106 KO vergleichbar (vgl. BGH v. 10.7.1997 – IX ZR 234/96, MDR 1997, 958 = NJW 1997, 3028 [3029]).
2. Der spätere Insolvenzverwalter ist selbst bei Personenidentität mit dem so genannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter grundsätzlich befugt, Rechtshandlungen des so genannten schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters gem. §§ 129 ff. InsO anzufechten.
Normenkette
InsO §§ 21-22, 55, 129-130, 133 Abs. 1 S. 1, § 142; KO § 106
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Aktenzeichen 14 O 459/01) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 24.067,48 Euro nebst 5 % Zinsen p.a. hieraus über den Basiszinssatz seit 27.9.2001 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Zwangsvollstreckung oder Hinterlegung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Berufungsstreitwert: bis 25.000 Euro.
Tatbestand
Der Kläger nimmt als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Fa. … die Beklagte auf Rückzahlung von 48.403,74 DM (= 24.748,44 Euro) nach Insolvenzanfechtung in Anspruch.
Die Beklagte ist eine Spedition, die mit dem Import und der Ablieferung von Waren für die Insolvenzschuldnerin befasst war.
Mit Beschluss des AG Stuttgart vom 19.6.2001 (K 1) wurde der Kläger auf den Insolvenzantrag der Schuldnerin vom gleichen Tag zum vorläufigen Insolvenzverwalter ohne Vertretungs- und Verfügungsbefugnis bestellt. Zu diesem Zeitpunkt war die Beklagte Gläubigerin der Insolvenzschuldnerin aus Altforderungen, die in erster Instanz unstreitig bei 48.403,74 DM lagen.
Am 19.7.2001 fuhr bei der Beklagten ein Lkw mit an die Insolvenzschuldnerin zu liefernden Brückenübergängen zur Verzollung vor. Die Beklagte hatte zu diesem Zeitpunkt Kenntnis vom Insolvenzantrag der Insolvenzschuldnerin. Mit Telefax vom selben Tag teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie die Sendung nur herausgeben wolle, wenn sowohl die Rückstände der Klagforderung aus früheren Tätigkeiten als auch die laufende Verzollungs- und Abfertigungsaufwendungen ersetzt würden. Die Gesamtsumme bezifferte die Beklagte auf 58.285,62 DM (vgl. Schreiben vom 19.7.2001, K 3).
Der Kläger forderte die Beklagte auf, die Sendung Zug um Zug gegen Zahlung der laufenden Aufwendungen freizugeben. Die Beklagte weigerte sich unter Berufung auf ihr Pfandrecht, die Sendung freizugeben. Daraufhin sagte der Kläger die Ablösung des gesamten rückständigen Betrages unter dem Vorbehalt der Rückforderung der Insolvenzanfechtung zu. Die Beklagte gab daraufhin die Sendung frei.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss des AG Stuttgart vom 31.8.2001 (K 6) forderte der Kläger, der zum Insolvenzverwalter bestellt worden war, die Beklagte mit Schreiben vom 12.9.2001 (K 7) zur Rückzahlung von 48.403,74 DM auf, was von der Beklagten durch ihre Prozessbevollmächtigten mit Fax vom 24.9.2001 (K 8) abgelehnt wurde.
Der Kläger begehrte erstinstanzlich mit seiner Klage unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung Rückzahlung des geleisteten Teilbetrags von 48.403,74 DM. Der Kläger erkannte die anfechtbare Rechtshandlung in der Anlieferung der Ware und Übergabe an die Beklagte zwecks Abfertigung sowie in der von ihm unter dem Vorbehalt der Rückforderung getätigten Zahlung. Insoweit hielt er seine eigene Handlung für anfechtbar.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger als Insolvenzverwalter 48.403,74 DM zzgl. 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 29.9.2001 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass das Insolvenzrecht mit der Möglichkeit der Insolvenzanfechtung auf das HGB-Pfandrecht des Spediteurs treffe und sich Letzteres ggü. der Insolvenzanfechtungsmöglichkeit durchsetzen müsse. Darüber hinaus sei die Ware im Einverständnis mit dem Kläger herausgegeben worden, wodurch das Pfandrecht erloschen sei und damit auch kein anfechtbares Absonderungsrecht mehr bestanden habe. Die Ausübung eines Absonderungsrechts mit der Folge, dass der Gegenstand dem Schuldnervermögen entzogen werde, sei nicht nach der Insolvenzordnung anfechtbar. Auch eine Gläubigerbenachteiligung liege, jedenfalls in Höhe des Warenwertes (42.512 DM), im vorliegenden Fall nicht vor. Ein Schaden entfalle schließlich deshalb, weil die streitgegenständliche Rechnung der Beklagten zu 90 % verauslagte Einfuhrumsatzsteuer beträfe, die wiederum als Vorsteuer von der Insolvenzschuldnerin geltend gemacht werden könnte.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vor...