Revision nicht angenommen durch Beschluss des BGH vom 24.04.2001 VI ZR 84/00

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzthaftung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Geburt eines unreifen Kindes war 1985 durch ein CTG lückenlos zu überwachen, insbesondere wenn ein bereits von einer Krankenschwester gefertigtes CTG Auffälligkeiten aufwies. Das Abhören der Herztöne mit einem Sonycaid genügte nicht.

2. Wenn sich die Mutter wegen Frühgeburtsbestrebungen in ärztlicher Behandlung in einer Klinik befindet und Wehen einsetzen, liegt die Organisation der sachgerechten Behandlung in den Händen des Arztes bzw. des Klinikträgers. Die Haftung für ein Verschulden des Pflegpersonals trifft in diesem Fall den Klinikträger und nicht eine Beleghebamme.

 

Verfahrensgang

LG Heilbronn (Aktenzeichen 7 O 3260/92)

 

Tenor

I.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 09. November 1998 – 7 O 3260/92 – abgeändert:

  1. Die Beklagten zu 1 und 2 werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 350.000,– DM zu bezahlen nebst 4 % Zinsen hieraus, der Beklagte zu 1 seit 28. Dezember 1992, die Beklagte zu 2 seit 29. Dezember 1992.
  2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1 und 2 als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus der Behandlung bei seiner Geburt am 05. November 1985 in der Privatklinik H. entstehen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
  3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Im übrigen werden die Berufungen zurückgewiesen.

III.

Von den Gerichtskosten und den aussergerichtlichen Kosten des Klägers im ersten Rechtszug tragen der Kläger 1/3, die Beklagten zu 1 und 2 2/3 als Gesamtschuldner. Die Beklagten zu 1 und 2 tragen ihre aussergerichtlichen Kosten im ersten Rechtszug selbst. Von ihren aussergerichtlichen Kosten im zweiten Rechtszug tragen sie jeweils 3/4 selbst, 1/4 trägt der Kläger. Von den Gerichtskosten und den aussergerichtlichen Kosten des Klägers im zweiten Rechtszug tragen dieser selbst und die Beklagten zu 1 und 2 als Gesamtschuldner jeweils die Hälfte. Die aussergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3 in beiden Rechtszügen trägt der Kläger.

IV.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten zu 1 und 2 dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 560.000,– DM abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Der Kläger darf die Vollstreckung durch die Beklagte zu 3 durch Sicherheitsleistung von 35.000,– DM abwenden, wenn diese nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Er darf die Vollstreckung durch die Beklagten zu 1 und 2 durch Sicherheitsleistung von jeweils 13.000,– DM abwenden, wenn die Beklagten zu 1 und 3 nicht vor der Vollstreckung jeweils Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Beschwer des Klägers und der Beklagten zu 1 und 2:

über

60.000,– DM

Streitwert für das Berufungsverfahren:

600.000,– DM.

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung bei seiner Geburt.

Die Mutter des Klägers, der zwei ältere Geschwister hat, wurde im Frühjahr 1985 erneut schwanger. Der Beklagte zu 1 behandelte die Mutter des Klägers ambulant als Frauenarzt. Er errechnete den Entbindungstermin auf den 20.12.1985. Vom 11.07.1985 bis 29.07.1985 war die Mutter des Klägers wegen drohender Fehlgeburt in der rechnerisch 20. Schwangerschaftswoche stationär in der Klinik des Beklagten zu 1. Am 17. September 1985 stellte der Beklagte zu 1 bei einer ambulanten Kontrolle fest, dass das erwartete Kind wohl wieder klein sein werde. Wegen Frühgeburtsbestrebungen wurde die Mutter des Klägers am 24. Oktober 1985 erneut stationär in die Klinik des Beklagten zu 1 aufgenommen. Am 05. November 1985 sollte sie wieder entlassen werden. Der Beklagte zu 1 liess am Vormittag ein CTG fertigen; einer seiner Assistenzärzte stellte fest, dass der Muttermund fingerdurchgängig war. Von 14.00 Uhr bis 14.40 Uhr wurde durch eine unbekannte Krankenschwester im Kreißsaal ein CTG gefertigt. Um 15.30 Uhr wurden ärztlich zwei Ampullen des wehenhemmenden Mittels Partusisten und fünf Ampullen Isoptin verordnet. Um 16.45 Uhr untersuchte der Beklagte zu 1 die Mutter des Klägers. Mit einem Sonycaid hörte er die Herztöne ab und befand sie für gut. Der Muttermund war fünfmarkstückgross eröffnet. Der Beklagte zu 1 stellte eine Blutung fest, die er als „Zeichnen” interpretierte. Etwa um 18.00 Uhr wurde die Beklagte zu 3 verständigt, die Beleghebamme an der Klinik des Beklagten zu 1 war und an diesem Tag Rufbereitschaft hatte. Sie kam gegen 18.35 Uhr in der Klinik an. Um 18.40 Uhr erhielt die Mutter des Klägers 5 mg Buscopan, ein Spasmolytikum. Um 19.10 Uhr war der Muttermund vollständig geöffnet, der Beklagte zu 1 sprengte die Fruchtblase. Dabei ging klares Fruchtwasser ab. Um 19.15 Uhr kam es nach einer lateralen Episiotomie zur Spontangeburt des Klägers mit einem Gewicht von 1.890 Gramm in der 34. Schwangerschaftswoche. ...

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