Leitsatz (amtlich)
1. Die Fälligkeitsregelung des § 14 Absatz 1 VVG ist auf Direktansprüche Dritter gem. § 115 VVG nicht anwendbar.
2. Verletzt ein Dritter bei der Geltendmachung eines Direktanspruchs gegen den Versicherer die Obliegenheit gem. § 119 Absatz 3 VVG zur Erteilung von Auskünften oder zur Vorlage von Belegen, begründet dies kein Zurückbehaltungsrecht des Versicherers an der zu leistenden Entschädigung.
3. Im Einzelfall kann bei der Verletzung einer Obliegenheit gem. § 119 Absatz 3 VVG der Anspruch auf Prozesszinsen nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgeschlossen sein.
Normenkette
BGB §§ 242, 273, 286, 291; PflVG § 3a Abs. 2; VVG §§ 14, 115, 119 Abs. 3, § 120
Verfahrensgang
LG Ulm (Urteil vom 19.01.2023; Aktenzeichen 4 O 105/22) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Anerkenntnis- und End-Urteil des Landgerichts Ulm vom 19.01.2023 aufgehoben, soweit die Beklagte in Ziffer 1 verurteilt wurde, an die Klägerin Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.627,17 Euro seit dem 26.11.2021 und aus 11.300,03 Euro seit 28.06.2022 zu bezahlen. Insoweit wird die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
III. Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 478,51 Euro
Gründe
A Die Klägerin verlangt als gesetzliche Krankenkasse im Wege des Regresses von dem beklagten Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer Ausgleich von Schäden aus einem Verkehrsunfall. Erstinstanzlich hat die Beklagte die Ansprüche in der Hauptsache anerkannt, worauf das Landgericht diesbezüglich ein Teil-Anerkenntnisurteil erlassen hat. Nicht anerkannt hat die Beklagte die geltend gemachten Zinsen. Das Landgericht hat Verzugs- bzw. Prozesszinsen zugesprochen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Verurteilung zur Zahlung der Zinsen und gegen die Kostenentscheidung mit der Begründung, sie sei nicht in Schuldnerverzug gewesen, weil sie noch Dokumente zur Prüfung der Ansprüche habe anfordern dürfen. Nachdem diese vorgelegen hätten, habe sie die Ansprüche im Sinne von § 93 ZPO sofort anerkannt.
Wegen des Sachverhalts wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts Bezug genommen. Zusammenfassend: Bei einem Verkehrsunfall am 22.06.2021 verlor der Fahrer des bei der Beklagten versicherten Fahrzeugs wegen eines medizinischen Notfalls die Kontrolle über das Fahrzeug, das im Anschluss frontal gegen einen Baum stieß. Dabei wurde die bei der Klägerin krankenversicherte Beifahrerin schwer verletzt und musste ins A-Krankenhaus U. eingeliefert werden. Am 07.07.2021 wurde sie in die B-Klinik U. verlegt, wo sie bis zum 15.07.2021 behandelt wurde.
Die Klägerin vergütete die Krankenhausbehandlung im A-Krankenhaus sowie die Anschlussbehandlung in der B-Klinik. Im Anschluss forderte die Klägerin die Beklagte in getrennten Schritten zum Ersatz der Behandlungskosten auf, zunächst am 10.08.2021 zur Erstattung der Kosten für den zweiten Krankenhausaufenthalt und der Fahrtkosten in Höhe von 5.102,22 Euro (Anlage K 4).
Am 08.09.2021 bat die Beklagte die Klägerin um geeignete Unterlagen als Beleg für die unfallbedingten Verletzungen, die erforderliche Behandlung und die Höhe der Ersatzansprüche, insbesondere Aufnahme- und Entlassungsanzeige des Krankenhauses, Entlassungsbericht und ggf. OP-Berichte und MDK-Gutachten (Anlage B 1).
Die Klägerin übersandte der Beklagten am 21.09.2021 den "DRG (Diagnosis Related Groups) Grouper" für den zweiten Krankenhausaufenthalt (Anlage K 1). Aus diesem ergaben sich die Diagnosen, die Angaben der Behandlungsprozeduren sowie die Angabe "Transportmittelunfall". Die Beklagte forderte sodann die Vorlage der weiteren Unterlagen, insbesondere ausdrücklich die Vorlage der Entlassberichte (Anlage B 2). Die Klägerin lehnte die Vorlage weiterer Berichte ab und setzte der Beklagten eine Frist zur Begleichung der Transportkosten und der Kosten des zweiten Krankenhausaufenthalts bis 25.11.2021. Die Beklagte bezahlte nicht. Sie wies am 09.11.2021, 12.01.2022 und 08.03.2022 darauf hin, dass der Arztbrief aus ihrer Sicht notwendig sei, um die Diagnosen und Prozeduren nachvollziehen zu können (Anlagen B 3, B 4 und B 5).
Mit der am 01.04.2022 zugestellten Klage machte die Klägerin 5.102,22 Euro nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 26.11.2022 anhängig. Ein Gutachten des medizinischen Dienstes der Krankenkassen kam zu dem Ergebnis, dass das B-Krankenhaus zu Unrecht die Behandlungen zu zwei gestellten Nebendiagnosen abgerechnet hatte (Anlage K 9). Daraufhin nahm die K...