Verfahrensgang

LG Tübingen (Urteil vom 07.06.2019; Aktenzeichen 4 O 516/18)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 07.06.2019, Aktenzeichen 4 O 516/18 abgeändert und wie folgt insgesamt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 24.362,09 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.01.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs der Marke VW, Typ Tiguan, FIN: ...

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.242,83 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5-Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.01.2019 zu zahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Berufung der Beklagten wird insgesamt zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen trägt der Kläger 20 %, die Beklagte 80 %.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

VI. Streitwert für beide Instanzen: bis 30.000,00 EUR

 

Gründe

A. Die Klagepartei begehrt mit ihrer Klage von der Beklagten Schadensersatz aus unerlaubter Handlung im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Pkw, der vom sogenannten "Abgasskandal" betroffen ist.

Die Klagepartei erwarb am 30.03.2015 bei dem Autohaus B. R. den PKW VW Tiguan 2.0 l TDI zum Kaufpreis von brutto 27.100 EUR (Anl. K 1). Es handelte sich um ein Neufahrzeug, das bei Übergabe an die Klagepartei einen Kilometerstand von 0 aufwies. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor der Typs EA 189 der Emissionsklasse Euro-5 verbaut. Für das Fahrzeugmodell lag zum Zeitpunkt des Erwerbs durch die Klagepartei eine EG-Typgenehmigung nach der Euro-5-Norm vor. Die bei dem Fahrzeug verbaute Motorsteuergerätesoftware weist zwei unterschiedliche Betriebsmodi auf. Im NEFZ schaltet sie in den Modus eins, in dem es zu einer höheren Abgasrückführungsrate und zu einem verminderten Ausstoß von Stickoxiden (NOx) kommt. Außerhalb des NEFZ wird das Fahrzeug im Modus null betrieben, was zu höheren Emissionen führt.

In einer Ad-hoc-Mitteilung vom 22.09.2015 informierte die Beklagte über Unregelmäßigkeiten der verwendeten Software bei Dieselmotoren vom Typ EA 189. Mit 5Bescheid vom 15.10.2015 erließ das Kraftfahrtbundesamt bezüglich der Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug nachträgliche Nebenbestimmungen, da es davon ausging, dass die verwendete Motorsteuersoftware eine unzulässige Abschalteinrichtung enthält. Hierauf entwickelte die Beklagte ein Software-Update, das vom Kraftfahrtbundesamt für Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs freigegeben wurde. Die Klagepartei ließ das Software-Update bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug am 21.10.2016 aufspielen.

Die Klagepartei hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, das Verhalten der Beklagten erfülle den Tatbestand einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB. Die bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motorsteuersoftware sei eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn von Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007.

Der Einbau der Motorsteuersoftware sei mit Wissen und Wollen des Vorstands und dem führenden Management der Beklagten erfolgt. Der Beklagten obliege eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Zurechnung von Wissen ihrer Repräsentanten. Wenn die Klagepartei von dem Vorhandensein der unzulässigen Abschalteinrichtung Kenntnis gehabt hätte, so hätte sie das Fahrzeug nicht erworben. Nutzungsersatz für die Nutzung des Fahrzeugs sei im Rahmen des Vorteilsausgleiches nicht in Abzug zu bringen. Jedenfalls sei aber, sofern eine Anrechnung von Gebrauchsvorteilen vorgenommen werde, von einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 500.000 km auszugehen. Ferner könne sie Deliktszinsen aus § 849 BGB verlangen. Hilfsweise sei die merkantile Wertminderung als wirtschaftlicher Schaden in Höhe von mindestens 25 % des Kaufpreises zu ersetzen. Im Hinblick auf derzeit noch nicht bezifferbare Schäden habe die Klagepartei ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagten. Die Beklagte befinde sich in mit der Rücknahme des Fahrzeugs im Annahmeverzug. Zudem könne sie von der Beklagte die Erstattung der vorgerichtlich entstanden Rechtsanwaltsgebühren in Höhe einer 1,5 Gebühr verlangen.

Die Klagepartei hat erstinstanzlich zuletzt beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrze...

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