Entscheidungsstichwort (Thema)
Heilung eines Verstoßes gegen § 308 ZPO in der Berufungsinstanz, unzulässige Werbung für ein Lebensmittel
Leitsatz (amtlich)
Wer in der Werbung für ein Lebensmittel herausstellt, es erhöhe das Muskelzellvolumen und vergrößere das Muskelvolumen oder es unterstütze den Muskelaufbau, verstößt gegen § 17 I Nr. 5 c LMBG.
Ein Zweck der Heilung, Linderung oder Verhütung einer Krankheit ist nicht Voraussetzung des Arzneimittelbegriffs. Für die Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Arzneimitteln kommt es … darauf an, ob die betreffenden Substanz überwiegend der Deckung der energetisch-stofflichen Bedürfnisse des menschlichen Organismus zu dienen bestimmt ist oder ob die Beeinflussung der Beschaffenheit, des Zustandes oder Funktion des Körpers bezweckt ist und somit andere Zwecke als die der Ernährung oder des Genusses im Vordergrund stehen.
Normenkette
ZPO §§ 263-264, 308, 523; LMBG § 17 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. c; AMG § 2; UWG § 1
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Entscheidung vom 28.12.1999; Aktenzeichen 1 KfH O 92/99) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Vorsitzenden der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stuttgart vom 28.12.1999 – 1 KfH O 92/99 – wird
zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 90.000,– DM abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Sicherheiten können auch durch unwiderrufliche, unbefristete, unbedingte und selbstschuldnerische schriftliche Bürgschaft einer deutschen Bank oder öffentlichen Sparkasse erbracht werden.
Streitwert der Berufung und Beschwer der Beklagten: |
70.000,– DM. |
Tatbestand
Dem hier vorliegenden Hauptsacheverfahren ging das Verfügungsverfahren LG Stuttgart 1 KfH O 23/99 = 2 U 77/99 voraus.
Im wesentlichen wie damals hat der Klagbefugnis nach § 13 II Nr. 2 UWG in Anspruch nehmende Verband sich jetzt im Hauptsacheverfahren beim Landgericht in bezug auf vier von der Beklagten vertriebene Präparate gegen deren Vertrieb und Bewerbung schlechthin gewendet, weil es sich bei ihnen um Arzneimittel handele, die – unstreitig – keine arzneimittelrechtliche Zulassung besitzen (Klagantrag a betr. „L-Glutamin Kapseln, BCAA Drops. Kreatin Pur, Chitosan + Ballaststoffe”); in einem (gegenüber dem Verfügungsverfahren neuen) Hilfsantrag hat der Kläger in bezug auf die ersten drei Präparate den Antrag auf Verbot des Vertriebs und der Bewerbung darauf beschränkt, daß bestimmte produktbezogene Aussagen vorliegen. Außerdem ist es beim Landgericht in bezug auf zwei weitere Präparate (Klagantrag b betr. „Super Whey Protein” und Klagantrag c betr. „Muscle Super 90”) wiederum um das Verbot bestimmter Werbeaussagen gegangen, die nach Ansicht des Klägers unzulässige Werbung i.S.d. § 17 I Nr. 5 a und c LMBG darstellen.
Das Senatsurteil im Verfügungsverfahren 2 U 77/99 vom 08.10.1999 hat, insoweit in Bestätigung des LG-Urteils, den Antrag a zurückgewiesen, weil allein aufgrund der Zusammensetzung der vier Präparate und ohne den Zusammenhang mit einer bestimmten Wirkungswerbung die Voraussetzungen des Arzneimittel-Begriffs nicht festgestellt werden könnten (s. Senatsurteil 2 U 77/99, S. 9-11); zugesprochen hat der Senat hingegen, insoweit in Abänderung des damaligen LG-Urteils, die Werbeverbote gem. Anträgen b und c, weil in den Werbeaussagen jeweils der Zweck des übertriebenen Muskelaufbaus angepriesen werde, sodaß der Eindruck eines Arzneimittels entstehe (s. Senatsurteil aaO, S. 12).
Wie damals hat der Kläger jetzt im Hauptsache-Verfahren geltend gemacht, die Beklagte habe die vier Präparate des (Haupt-) Antrages a in großen Anzeigen der Zeitschrift „Sportrevue” (Farbkopie Anl. K 4) teilweise zwar als „Nahrungsergänzungen” bzw. als „Sportlernahrung” bezeichnet, in Wahrheit aber handele es sich nach ihrer schon aus der Zusammensetzung folgenden Zweckbestimmung um nicht zugelassene Arzneimittel. Für die Aussagen zur jeweiligen Zweckbestimmung hat der Kläger auf die in dem Hilfsantrag wiedergegebenen Veröffentlichungstexte verwiesen. „Chitosan + Ballaststoffe” bezeichne die Beklagte als „Schlankheitsmittel”. Alle vier Mittel seien sonach Arzneimittel i.S.d. § 2 I Nr. 5 AMG, weil dazu bestimmt, übermäßigen, künstlichen Muskelaufbau zu bewirken und so nicht einem Ernährungszweck zu dienen, sondern die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers zu beeinflussen (Beweis: SV-Gutachten, Bl. 68, 69, 71 f, 72 f). Verbotsgrundlage seien sonach für den (Haupt-) Antrag a § 1 UWG i.V.m. §§ 2, 21 AMG, 3 a HWG.
Für das von Antrag b erfaßte Präparat „Super Whey Protein” hat der Kläger behauptet, der Zweck des Muskelaufbaus bzw. der Verhinderung des Muskelabbaus mache das Mittel zum Dopingmittel und somit zum Arzneimittel; außerdem sei die behauptete Wirkung nicht erwiesen, sodaß gegen § 17 I Nr. 5 c und a LMBG verstoßen werde. Dasselbe gelte für das vom...