Leitsatz (amtlich)
1. Maßgeblich für Kenntnis des Versicherers von einer Anzeigepflichtverletzung ist die Kenntnis desjenigen Mitarbeiters, der mit der Bearbeitung des Falles befasst ist, regelmäßig also des zuständigen Sachbearbeiters in der Leistungsabteilung, zu dessen Aufgabe die Überprüfung der Antragsangeben gehört.
2. Da der Versicherungsnehmer regelmäßig über keine Kenntnisse der Verwaltungsabläufe, insb. der Postverteilung, im Geschäftsbreich des Versicherers verfügt, obliegt dem Versicherer insoweit eine sekundäre Darlegungslast.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 17.03.2006; Aktenzeichen 22 O 408/05) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 22. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 17.3.2006 - 22 O 408/05 - abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 9.035,09 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.5.2005, sowie vorgerichtliche Kosten i.H.v. 449,64 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 8.9.2005 zu zahlen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 9.035 EUR.
Gründe
A. Die Klägerin begehrt als Bezugsberechtigte aus einer von ihrem am 19.12.2004 verstorbenen Ehemann bei der Beklagten genommenen Lebensversicherung die vereinbarte Todesfallleistung (abzgl. von der Beklagten auf den Rückkaufswert und als Beitragsrückerstattung geleisteter Zahlungen) sowie den Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten.
Die Beklagte macht geltend, wegen unrichtiger Beantwortung der Gesundheitsfragen durch den Versicherungsnehmer im Versicherungsantrag sei sie rechtzeitig und wirksam zurückgetreten, weshalb sie nicht zur Zahlung der vereinbarten Todesfallleistung verpflichtet sei. Der im Rahmen der Leistungsprüfung erbetene Bericht des Hausarztes des Versicherungsnehmers, auf dessen Inhalt die Beklagte ihren Rücktritt stützt, ist bei der zentralen Posteingangsstelle des Konzerns, dem die Beklagte angehört, am 10.2.2005, 7.42 Uhr eingegangen. Einen weiteren Eingangs- oder Kenntnisnahmevermerk des zuständigen Sachbearbeiters trägt der Arztbericht nicht. Das Schreiben, mit welchem die Beklagte den Rücktritt erklärt hat, ist der Klägerin am 11.3.2005 zugegangen.
Die Beklagte behauptet, der zuständige Sachbearbeiter in ihrer Leistungsabteilung, auf dessen Kenntnis es ankomme, habe von dem Arztbericht erst einige Tage nach Eingang in der zentralen Poststelle, jedenfalls nicht vor dem 11.2.2005, Kenntnis erlangt.
Die Klägerin bestreitet dies und ist weiter der Auffassung, dass maßgeblich ohnehin der Eingang im zentralen Posteinlauf eines Versicherungskonzerns sei. Darüber hinaus bestreitet sie die Rücktrittsberechtigung der Beklagten.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Insbesondere habe die Beklagte ihr Rücktrittsrecht rechtzeitig ausgeübt .
Dagegen wendet sich die Klägerin mit dem Rechtsmittel der Berufung unter Erweiterung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.
Die Klägerin beantragt, wie erkannt.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen M.R. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 14.9.2006 Bezug genommen.
B. Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg.
I. Entgegen der Auffassung des LG ist die Klage begründet. Der Klägerin steht die im Versicherungsvertrag vereinbarte Todesfallleistung zu, weil der Rücktritt der Beklagten nicht fristgerecht - innerhalb eines Monats nach Kenntniserlangung des Versicherers von der Verletzung der Anzeigepflicht (§ 20 Abs. 1 VVG) - erfolgt ist.
1. Der am 11.3.2005 ggü. der Klägerin erklärte Rücktritt ist verfristet. Der Senat ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu der Auffassung gelangt, dass die Beklagte Kenntnis von den nach § 20 Abs. 1 S. 2 VVG maßgeblichen Umständen bereits am 10.2.2005 erlangt hat. Für den Beginn der Frist gilt § 187 Abs. 1 BGB (Ereignis, das in den Lauf des Tages fällt), für deren Ende § 188 Abs. 2 BGB.
a) Beweisbelastet für die Kenntnis des Versicherers von der Anzeigepflichtverletzung und damit auch für den Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist der Versicherungsnehmer (BGH v. 16.10.1990 - VI ZR 275/89, MDR 1991, 521 = VersR 1991, 179; Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 20 Rz. 7). Maßgeblich ist insoweit die Kenntnis desjenigen Mitarbeiters der Versicherung, der mit der Bearbeitung des Falles befasst ist, regelmäßig der zuständige Sachbearbeiter in der Leistungsabteilung, zu dessen Aufgaben die Überprüfung der Antragsangaben gehört (OLG Stuttgart v. 30.11.1988 - 9 W 56/88, VersR 1990, 76; OLG Köln VersR 1974, 849; Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 20Rz. 2).
aa) Der weitergehenden Auffassung des OLG Nürnberg (OLG Nürnberg v. 15.3.1990 - 8 U 4288/89, VersR 1990, 1337), wonach für die Kenntniserlangung des Versicherers von der Verletzung der Anzeigepflicht bereits ausreichend sein s...