Leitsatz (amtlich)
1. Der Abschluss eines Verlustübernahmevertrages ist ein prospektpflichtiger Umstand, da das Insolvenzrisiko nicht unwesentlich erhöht wird. Unerheblich ist dabei, dass der Verlustübernahmevertrag einem anderen Unternehmenssegment der Anlagegesellschaft zugeordnet ist, da es sich bei den Segmenten nicht um vom Vermögen der entsprechenden Aktiengesellschaft unabhängige Vermögensmassen handelt und ein einheitliches Insolvenzrisiko besteht.
2. Hinsichtlich nach Prospekterstellung geänderter Umstände, die für die Entschließung der angesprochenen Anlageinteressenten von Bedeutung sind oder sein können, besteht eine Nachtragspflicht der Prospektverantwortlichen.
3. Die Vorstandsmitglieder der Anlagegesellschaft haften als Prospektverantwortliche persönlich. Sie haben für Pflichtverletzungen der zur Prospekterstellung hinzugezogenen Rechtsanwälte gem. § 278 BGB einzustehen.
4. Ein Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit widerspricht der Aufgabe des Prospektes, die potenziellen Anleger verlässlich, umfassend und wahrheitsgemäß zu informieren, und ist daher unwirksam.
5. Die Drei-Jahres-Verjährungsfrist für bürgerlich-rechtliche Prospekthaftungsansprüche ist nicht von der Abgabe des Beitrittsangebots des Anlegers an zu rechnen, sondern erst von dessen Annahme durch die Anlagegesellschaft.
Verfahrensgang
LG Tübingen (Urteil vom 23.06.2003; Aktenzeichen 3 O 452/02) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des LG Tübingen vom 23.6.2003 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagten verurteilt werden, als Gesamtschuldner an die Klägerin 5.368,56 Euro zzgl. 4 % Zinsen seit 1.1.2000 bis 10.1.2003 und Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.1.2003 - Zug um Zug gegen schriftliche Zustimmung zur Übertragung der Beteiligung an der AG mit der Vertrags-Nr. 642516 - zu zahlen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen den Beklagten als Gesamtschuldnern zur Last.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 5.368,56 Euro.
Gründe
I. Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des LG Tübingen vom 23.6.2003 wird Bezug genommen.
Gegen dieses ihnen am 26.6.2003 zugestellte Urteil haben die Beklagten mit am 17.7.2003 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt, den sie innerhalb verlängerter Frist mit Schriftsatz vom 26.9.2003 begründet haben.
Die Beklagten machen geltend, das LG habe zu Unrecht die örtliche Zuständigkeit nach § 32 ZPO bejaht. Ein deliktischer Anspruch der Klägerin nach §§ 823 Abs. 2 BGB, 264a StGB sei nicht schlüssig dargetan.
Ein Anspruch aus bürgerlich-rechtlicher Prospekthaftung sei ebenfalls nicht gegeben. Die Auseinandersetzung der ... AG mit dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (im Folgenden: BAKred) über die Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens in Raten betreffe nur Altverträge, während das Beteiligungsangebot ggü. der Klägerin diese Möglichkeit nicht mehr vorgesehen habe. Die Untersagungsverfügung des Aufsichtsamtes vom 22.10.1999 habe für die Neuverträge auch keine spürbare indirekte Bedeutung. Die Liquidität der ... AG sei durch die Umstellung nicht gefährdet worden. Schon nach der ursprünglichen Regelung habe es für den Anleger ein Wahlrecht bei Ablauf der Beteiligung gegeben, so dass von vornherein mit Mittelabflüssen zu diesem Zeitpunkt zu rechnen war. Im Übrigen beginne der Ablauf der Vertragsdauer für die ersten Verträge im Segment VII erst ab 2007, so dass die ... AG die zu leistenden Auszahlungen rechtzeitig vorher einplanen könne.
Auch der Verlustübernahmevertrag mit dem Bankhaus P. sei kein prospektpflichtiger Umstand, weil er direkt nur andere Unternehmenssegmente betreffe. Hinsichtlich der indirekten Wirkung gehe es allein um das Insolvenzrisiko. Dieses sei aber ggü. den schon vorher bestehenden Risiken aus der Beteiligung am Bankhaus P. und den Sicherungsmitteln im Umfang von 27,3 Mio. DM ggü. der ... Bank AG, die auf das Bankhaus P. verschmolzen worden sei, de facto nicht erhöht worden.
Die Beklagten beantragen, das Urteil des LG Tübingen vom 23.6.2003 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagten verurteilt werden, als Gesamtschuldner an die Klägerin 5.368,56 Euro zzgl. 4 % Zinsen seit 1.1.2000 bis 10.1.2003 und Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.1.2003 - Zug um Zug gegen schriftliche Zustimmung zur Übertragung der Beteiligung an der ... AG mit der Vertrags-Nr. 642518 - zu zahlen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertritt die Auffassung, der Streit mit dem BAKred als der zuständigen Ordnungsbehörde hätte in den Prospekt aufgenommen werden müssen. Vor dem ...