Leitsatz (amtlich)
1. Werden in einem selbständigen Beweisverfahren durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen mehrere Mängel begutachtet, endet die Hemmung der Ansprüche bezüglich der einzelnen Mängel grundsätzlich einheitlich erst mit Abschluss des selbständigen Beweisverfahrens insgesamt, sofern das Gericht nicht zuvor zum Ausdruck gebracht hat, dass das Verfahren bezüglich einzelner Mängel schon vorher beendet sein soll. (Abweichend: OLG Hamm, Urteil vom 16.12.2008 - 21 U 117/08; OLG Koblenz, Urteil vom 17.05.2013 - 10 U 286/12; OLG Oldenburg, Urteil vom 20.08.2019 - 13 U 60/16; OLG Brandenburg, Beschluss vom 02.04.2020 und Beschluss vom 16.06.2020 - 12 U 77/19).
2. Bedarf eine Mangelbeseitigung einer planerischen Vorgabe des Auftraggebers, ist eine Aufforderung zur Mängelbeseitigung ohne diese planerische Vorgabe wirkungslos.
Normenkette
BGB § 204 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 S. 1, § 635; VOB/B § 13 Abs. 5 Nr. 2; ZPO § 485
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 26.02.2021; Aktenzeichen 15 O 218/15) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufungen der Beklagten und der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26.02.2021, Az. 15 O 218/15, wie folgt abgeändert:
a. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 67.200,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14.07.2015 zu zahlen.
b. Es wird festgestellt, dass die Beklagte einen gegebenenfalls verbleibenden Minderwert/Minderungsbetrag am Gebäude V. in X. zu tragen hat, der dadurch entsteht, dass nach der Betonsanierung der Risse der Betonteilfassade im Attikabereich des V. ein optischer Mangel verbleibt.
c. Im Übrigen wird die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen.
2. Im Übrigen werden die Berufungen der Beklagten und der Klägerin zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Klägerin 87 % und die Beklagte 13 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Schuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert: EUR 879.200,00
Gründe
Mit Auftrag vom 01.08.2005 (Anlagenkonvolut K1, dort Bl. 39) beauftragte die Klägerin die Beklagte mit der Herstellung einer Betonfertigteilfassade am Bauvorhaben V. in X. Die Stahlbetonkonstruktion enthielt unter anderem Vorhangfassaden mit Betonfertigteilen und Betonlamellen vor den Fensterelementen. Die VOB/B wurde einbezogen.
Das von der Klägerin erstellte Leistungsverzeichnis sah für die Betonlamellen eine textile Bewehrung vor. Zur Ausführung gelangte eine aus Edelstahl bestehende Bewehrung, nachdem Lamellen mit textilen Bewehrungen seitens der Beklagten wegen der erforderlichen Schichten nicht mit der ausgeschriebenen geringen Höhe bzw. Dicke hergestellt werden konnten.
Das Leistungsverzeichnis (Anlagenkonvolut K1, dort Bl. 65) enthält in Pos. 01.02.3 (Bl. 85) auszugsweise folgenden Eintrag:
Statische Berechnung Lamelle LOCHFASSADE 1,000 psch 5.000,- [...]
Für die Lamellen sowohl in der Schulhoffassade, als
auch in der Lochfassade ist eine statische Berechnung
zu erstellen, die alle möglichen Bereiche abdeckt.
Enthalten sein müssen:
gerade verlaufende Lamellen
[...]
Die prüffähigen Unterlagen sind mind. 4 Wochen vor
Fertigstellungsbeginn zur Prüfung [...] einzureichen [...].
Unter Position 02.03.1 (Bl. 105) sind die Lamellen für die Fenster beschrieben mit "FT-Lamellen Fenster, Regellänge l=300 cm, gerade" mit der Mengenangabe 860,000 m. Es folgen die genauen Abmessungen einschließlich Gefälleausbildung.
Das Leistungsverzeichnis enthält im Text zu den Positionen der Fertigteilfassade auf Seite 34 (Bl. 74) die Betonrezeptur für Lamellen aus textilbewehrtem Feinbeton sowie Fertigteilplatten aus Stahlbeton, jeweils mit dem Zusatz gelber Flüssigfarbe. Eine gleiche Farbigkeit der Fertigteile ist zudem seitens des Auftragnehmers zu gewährleisten.
Bezüglich der Attikaelemente nahm die Klägerin die Leistung der Beklagten am 14.12.2006 ab (Anlage B1, Bl. 166). Am 11.12.2007 nahm die Klägerin die Betonlamellen unter Vorbehalt ab (Anlage AG6 der Beiakte LG Stuttgart - 15 OH 16/10, im Folgenden: OH).
Mit Schreiben vom 17.06.2010 (Anlage B2, Bl. 167), der Beklagten am 22.06.2010 zugegangen, rügte die Klägerin eine Haarrissbildung an der Oberfläche, teilweise durchgehend auf der ganzen Materialstärke, bezüglich der Betonfertigteilfassaden.
Am 01.12.2010 stellte die Klägerin einen Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht Stuttgart - 15 OH 16/10 -, der Beklagten zugestellt am 21.12.2010. In diesem Verfahren wurde ein Gutachten des Sachverständigen H. vom 21.09.2012 nebst mehreren Ergänzungsgutachten eingeholt. In der vom Landgericht gesetzten, auf Antrag bis 19.04....