Leitsatz (amtlich)
Hat der Unterhaltsberechtigte seinen Unterhaltsanspruch beziffert, nachdem er zunächst Auskunft begehrt hatte, kann sich der Unterhaltspflichtige nicht darauf berufen, einer nachträglichen, auf den Zeitpunkt des Auskunftsverlangens bezogenen Erhöhung des Unterhalts stehe § 1613 Abs. 1 BGB entgegen, wenn er im Rahmen der Auskunftserteilung unter Verletzung einer dahingehenden Offenlegungspflicht den Erhalt einer Abfindungszahlung seines früheren Arbeitgebers verschwiegen hatte und die Unterhaltsberechtigte bei erstmaliger Bezifferung darauf hingewiesen hat, über die Bedingungen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Kenntnisse zu haben. Bei dieser Sachlage ist dem Unterhaltsschuldner die Berufung auf die Schutzwirkung des § 1613 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens verwehrt.
Normenkette
BGB § 1613
Verfahrensgang
AG Ludwigshafen (Aktenzeichen 5b F 74/20) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Ludwigshafen am Rhein vom 2. April 2022 aufgehoben:
Über die Anträge der Antragstellerin, ihr für die mit Schriftsatz vom 13. Juli 2020 und vom 18. Dezember 2020 gestellten Anträge Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, hat das Familiengericht erneut zu entscheiden.
Gründe
Hierbei darf es die Versagung von Verfahrenskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) nicht darauf stützen, die Antragstellerin sei gemäß § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB gehindert, aufgrund der Einbeziehung der dem Antragsgegner von seinem früheren Arbeitgeber (B.....) im Januar 2018 gezahlten Abfindung in Höhe von netto 71.395,43 EUR in die Unterhaltsbemessung für die Zeit ab November 2019 einen über die ursprüngliche Bezifferung mit Antragsschrift vom 19. März 2019 und Schriftsatz vom 13. Juli 2020 (monatlich 268,00 EUR bis Juni 2020, monatlich 353,00 EUR ab Juli 2020)) hinausgehenden Unterhaltsbetrag zu verlangen.
Die sofortige Beschwerde ist verfahrensrechtlich bedenkenfrei und erzielt in der Sache einen vorläufigen Erfolg.
Hat - wie hier - der Unterhaltsberechtigte seinen Unterhaltsanspruch bereits beziffert, nachdem er zunächst von dem Unterhaltspflichtigen Auskunft gem. § 1613 I BGB begehrt hatte, so kann er nicht rückwirkend einen höheren Unterhalt verlangen, wenn der Unterhaltspflichtige bei der erstmals erfolgten Bezifferung nicht mit einer Erhöhung zu rechnen brauchte (BGH, Beschluss vom 7. 11. 2012 - XII ZB 229/11). Grundsätzlich braucht der Unterhaltspflichtige nämlich nur noch mit einer Inanspruchnahme in der bezifferten Höhe zu rechnen. Vor dem Risiko unkalkulierbar angewachsener Rückstände, die bei einer nachträglichen Erhöhung des bereits bezifferten Anspruchs entstehen können, soll er durch § 1613 geschützt sein.
Auf diesen Schutz kann sich der Antragsgegner vorliegend jedoch nicht berufen, weil er auf das an seinen Verfahrensbevollmächtigten gerichtete erstmalige Auskunftsbegehren der Antragstellerin vom 26. November 2019 seiner Auskunftspflicht nicht vollständig nachkam - vielmehr unter Verletzung seiner dahingehenden Offenlegungspflicht den Erhalt der Abfindungszahlung verschwieg - (§§ 1580,1605 BGB) und die Antragstellerin in der Antragsschrift darauf hingewiesen hat, keine Kenntnisse darüber zu haben, zu welchen Bedingungen das langjährige Arbeitsverhältnis des Antragsgegners bei der BASF SE beendet wurde. Bei dieser Sachlage musste der anwaltlich vertretene Antragsgegner damit rechnen, die Antragstellerin werde nach durch das Familiengericht mit Beschluss vom 28. Oktober 2020 angeordneter Auskunftserteilung über den Erhalt der Abfindung rückwirkend, bezogen auf den Zeitpunkt des Auskunftsverlangens, unter Einbeziehung der Abfindung in die Unterhaltsbemessung einen auch deutlich höheren Unterhalt verlangen. Mit Blick auf die nachhaltige Verletzung der gegenüber der Antragstellerin bestehenden Offenlegungspflicht hinsichtlich des Erhalts der Abfindung stellt sich die Berufung auf die Schutzwirkung des § 1613 Abs. 1 BGB als rechtsmissbräuchlich dar und ist dem Antragsgegner auch unter diesem Gesichtspunkt verwehrt (§ 242 BGB). Dies macht die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde zu Recht geltend.
Die Abfindung ist als Arbeitgeberleistung Bestandteil des Arbeitseinkommens und gehört zum unterhaltspflichtigen Einkommen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 1981 - IVb ZR 604/80). Entgegen der Auffassung des Antragsgegners war dieser auch verpflichtet, auf das Auskunftsbegehren vom 26. November 2019 hin Auskunft über die im Januar 2018 erhaltene Abfindung zu erteilen, da diese auf einen längeren, im November 2019 ohne Zweifel noch nicht beendeten Zeitraum umzulegen und deshalb für die Berechnung des Unterhaltsanspruchs der Antragstellerin von Bedeutung ist.
2. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei (FamGKG KV Nr. 1912); außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Fund...